Hier unsere aktuellen Drum and Bass Reviews für den Monat Januar. Diesmal dabei Releases von Secret Operations, Metalheadz, RAM, Paperfunk, ProgRAM und Surveillance. Viel Spaß beim Lesen und Reinhören!
Seba – “Ingaro”
Sebastian Ahrenberg aka Seba meldet sich mit einem Album namens „Ingaro“ zurück, dessen Titel vermutlich eine umlautbefreite Version der Insel „Ingarö“ im Landkreis Stockholm darstellt. Wer weiß, vielleicht hat Seba dort seinen Wohnsitz. Jedenfalls war ich ein bisschen überrascht, dass es erst sein drittes Album ist – gemessen an seinem langjährigen Wirken also nicht unbedingt seine präferierte Form, Musik zu veröffentlichen. Und das letzte Album liegt auch schon beinahe zehn Jahre zurück. Nach zwischenzeitlichen Ausflügen auf Hospital, Spearhead oder Fokuz kehrt Sebastian mit „Ingaro“ zu alter Stärke und vor allem zu (s)einem Sound zurück, der ihn so unnachahmlich macht. Irgendwo zwischen atmosphärisch, episch und cineastisch. Kein Wunder, dass Seba überall in der Drum´n´Bass-Welt seine Fans hat. Und auch in meiner Heimatstadt würde man bei einem Seba-Booking wohl so manche Gesichter entdecken, die man schon lange nicht mehr gesehen hat. Seba ist so was wie der skandinavische Calibre, auch wenn solche Vergleiche immer schwierig sind. Steigen wir also ein ins Album „Ingaro“, was folgerichtig auf seinem eigenen Label Secret Operations erschien. Nachdem die ersten beiden Tracks auf einer ziemlich breakigen, beinahe drumfunkigen Welle reiten, folgt das minimalistische „Eztli“, ein richtig schöner Stepper. Neben dem Opener folgt nun eine weitere Vocalnummer mit der derzeit omnipräsenten Collette Warren. Da ich bekanntlich kein Fan von Vocals bin, halte ich mich an der Stelle lieber zurück. Zur Halbzeit des Albums ertönt ein Downbeat-Stück, ebenfalls von Vocals begleitet. Und im zweiten Teil des Album schraubt sich noch viel mehr klassischer Seba-Sound in den Gehörgang, mal rollend, mal jungliger, immer jedoch wunderbar melancholisch. Nicht nur Seba-Fans dürfte das verzücken, sondern auch diejenigen, welche den Good Looking-Sound vermisst haben. Meine Favoriten sind btw. „Public Beauty“ – der Track trägt sein Attribut im Namen sowie der letzte Track „Progression“, in bzw. mit dem man sich herrlich verlieren kann. Seba kann es noch, kein Zweifel! (Metric)
Release: 21.01.2022
Label: Secret Operations
Katalognummer: SECOPSLP002
Wertung: 7/10
CrucifyMe – “Bouncy Ball EP”
Über diesen neuen Artist konnte ich nicht wirklich viel finden, außer einem bisherigen Release auf dem russischen Label Axon und eben der „Bouncy Ball EP“ auf dem anderen russischen Label Paperfunk. Und egal, was politisch gerade abgeht, aus Russland kommt immer wieder guter Drum´n´Bass! Auf den titelgebenden Track der EP bin ich jedenfalls durch Vision Radio aufmerksam geworden und hab mich gleichzeitig geärgert, dass ich erst seit ein paar Monaten jede Episode von „No Dave!“ höre, da es dort immer wieder völlig unbekannte Artists bzw. vielversprechende Newcomer zu entdecken gibt. „Bouncy Ball“ ist jedenfalls ein richtig progressiv nach vorn gehender zwingender Track; perfect skankout business! Er hat mich an „Bucephalus Bouncing Ball“ von Aphex Twin erinnert, der mal einen vergleichbaren Approach hatte und einen ähnlich hektischen Track kreierte. Nach „Bouncy Ball“ folgen auf der EP zwei Kollaborationen mit ebenfalls völlig unbekannten Künstlern, die eher klassisch techy und nicht so originell sind wie der Titeltrack. „Mercury“ macht den Abschluss und ist ein deftiger Slammer, der eine Menge Sounds in petto hat und ruhig mal in voller Länge zu Gemüte geführt werden sollte. „Bouncy“ beschreibt hier nur den Titeltrack, ansonsten ist das Release richtig rund! (Metric)
Release: 21.01.2022
Label: Paperfunk Recordings
Katalognummer: PPRFNK038
Wertung: 8/10
Jestah – “Armada EP”
Neues an der Bristolfront! Jestah ist ein noch ziemlich neuer Artist, für den es vermutlich ab seinem Release auf Overview vor zwei Jahren so richtig los ging. Es folgten Arbeiten für Delta9, Hanzom Music, Lost The Plot, Counterpoint usw. Die neue „Armada EP“ erschien auf Rebel Music und enthält vier richtig frische Tracks. Der Titeltrack „Armada“ wird getragen von einer mächtigen Reese-Bassline (hoffe, das benenne ich korrekt) und erscheint auf dem Release zusätzlich im Remix aus dem sterilen Labor von Arkaik, dem Meister des cleanen und choppigen Minimalismus. Für „Deception“ kollaboriert er mit Wahl-Berliner Art1fact und der Track stompt mit ordentlich Subbass voran. „The Fall“ ist das atmosphärischste Stück auf dem Release und besticht vor allem durch eine metallische Melo, die sich super ins Klangbild einfügt und überhaupt nicht aufdringlich ist. Tolle EP, die alle vier Ecken des Techstep-Quadrats ausleuchten kann. (Metric)
Release: 11.01.2022
Label: Rebel Music
Katalognummer: REBEL036
Wertung: 8/10
Grey Code – “Renewal LP”
Spencer Warren, besser bekannt als Grey Code, ist schlicht nicht mehr aufzuhalten. So ziemlich seit seinen ersten paar Selfreleases vor circa 6 Jahren ist alles, was das britische Music Squad Talent so raushaut, pures Gold. Grund genug für den Mann mit den Goldzähnen, Goldie, ihn im Hause Metalheadz unterzubringen. Nach zahlreichen extremst guten EPs und Singles, kommt nun endlich Grey Code’s Debüt-Album: Renewal. Ich bin zwar ein großer Fan von ihm und war durch die vorher releasedten Sampler schon durchaus gehyped, aber dass es wirklich SO gut wird, konnte ich nicht ahnen. In keinem anderen Album konnte ich bisher solche bösartig-schönen Atmosphären, solche einzigartigen rhythmischen, strukturellen und musikalischen Ideen, oder eine solch saubere Produktion erleben, bei dem man von den Snares auf einem Track glatt eine Gehirnerschütterung und auf dem nächsten Gänsehaut durch die wunderschönen orchestralen Melodien bekommt. Ich kann dem Album hier in einem so kurzen Text nicht ansatzweise gerecht werden. Hört es euch ganz an, von vorne bis hinten, ohne Unterbrechung, das hat es verdient. Ganz ganz große Kunst, ehrlich. (Lennart Hoffmann)
Release: 28.01.2022
Label: Metalheadz
Katalognummer: METALP24
Wertung: 10/10
Kung – „Aegis EP“
Bleiben wir doch gleich bei den etwas außergewöhnlicheren Sounds. In seiner seit 2007 (!) anhaltenden musikalischen Reise hatte der spanische Producer Kung zwar meist eher eine Vorliebe für die etwas hart-rollendenderen Sounds, egal ob nun auf Eatbrain oder auf ProgRAM, Mr. Juan Jose Diaz ist dabei allerdings immer mit recht einzigartigen Ideen aufgefahren. Dementsprechend ergibt es für mich auch sehr viel Sinn, dass seine neueste EP über das exzellenten portugiesischen Label Surveillance Music released wird. Wie für das von Jon Tho (ehemals Fragz) in 2019 gegründete Label üblich, wird uns hier auf 4 Tracks allerhand seltsamste techy Sounds, auf wunderbar rollenden Beats präsentiert. Ob nun „Hued“ oder „Heartbeat Racing“ mit ihren extraterrestrischen Melodien, „Kinships“ mit seinen 4×4 Rhythmen im zweiten Drop, oder „Pyramidal“ mit dem Sounddesign, dass einen denken lässt, man schaut einen Film, jeder Track hat seine eigenen interessanten Eigenartigkeiten zu bieten. (Lennart Hoffmann)
Release: 26.01.2022
Label: Surveillance Music
Katalognummer: SRVLNCEP005
Wertung: 8/10
Mandidextrous – “Back 2 The / Trust The Lasers”
Auf der Liste meiner liebsten Neuentdeckungen des letzten Jahres wird Mandidextrous, echter Name Mandisha Gordon, ganz ganz oben stehen. Mandisha ist zwar schon seit den frühen 2000ern in der britischen elektronischen Szene unterwegs, jedoch eher in der 190+ BPM Ecke. Die Backstory in einem Satz: Die Worte „Queen of Jungle Tek“ treffen durchaus zu. Nach fast 20 Jahren war es dann aber auch für die Queen irgendwann Zeit, mal etwas Neues zu probieren, weshalb Mandidextrous sich 2020 bei der EQ50 Organisation für ein Mentoring angemeldet hat. In Zusammenarbeit mit den hohen Tieren RAM Records wurde nun ein neuartiges Hybrid-Konzept erarbeitet: Eine Art Fusion von Jungle Tek und, nunja, „klassischem“ DnB. Immer noch sehr viel „Donk“, also 4×4 Tek-iges Gemetzel, aber auf den 170er BPM Bereich reduziert und mit allerlei DnB Switchups. Könnt ihr euch nicht vorstellen? Dann hört euch Mandi’s neuestes Werk am besten einfach mal an. Auf „Back 2 The“ gibt’s zwar noch die volle Breitseite DnB, wenn auch mit ein paar Tek Einflüssen, „Trust The Lasers“ schlägt dann aber umso härter mit den 4×4 Rhythmen um sich. Vor allem von Letzterem krieg ich gerade einfach nicht genug. Kann Mandidextrous‘ nächsten Release jetzt schon kaum erwarten. (Lennart Hoffmann)
Release: 11.02.2022
Label: ProgRAM
Katalognummer: PRGRAM154
Wertung: 9/10
Savant – “Krang LP”
Man bekommt in den letzten Jahren echt den Eindruck, DnB wird immer beliebter. Bei so ziemlich allen möglichen DJs aus anderen elektronischen Genres schwingt über Interviews oder ihre Tweets so ein bisschen mit, dass sie unser geliebtes Genre eigentlich auch ziemlich feiern. Bei manchen geht das dann sogar so weit, dass sie selbst mal Hand anlegen. Das aktuellste und beeindruckendste Beispiel dafür ist Savant. Der Norwege, echter Name Aleksander Vinter, ist nicht nur der wahrscheinlich produktivste Produzent der Moderne (seht euch bitte seine Diskographie auf Wikipedia an, man kommt aus dem Scrollen nicht mehr raus), sondern auch ein wahres Multigenre Talent. Nur DnB war bisher selten bis gar nicht vertreten. Das holt er jetzt umso eindrucksvoller mit seinem brandneuen 30 (!) Tracks starken Album „Krang“ nach. Trotzdem wird es über die 2h 22min Runtime nicht wirklich langweilig. Dank Savant’s kreativer Verwendung von diversen für DnB unüblichen Instrumenten, seinem schier unerschöpflichen Ideenreichtum was Melodien und Strukturen angeht und seinem Händchen für Produktion kommt man gar nicht anders drumherum als sich das ganze Album anzuhören. Also ich zumindest. Großes Ding. (Lennart Hoffmann)
Release: 02.02.2022
Label: Vybz
Katalognummer: —
Wertung: 8.5/10
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