Molecular – “Heritage & Sound LP”
Bei dem mit Spannung erwarteten Debütalbum von Molecular stand (jedenfalls für mich) zu keiner Zeit zur Disposition, ob es in irgendeiner Form enttäuschen könnte. Zu groß die bristolianischen Fußabdrücke, die er bereits in den Drum´n´Bass-Sand getreten hat. Dabei sieht er sich selbst als Kind jenes Sounds, den Bristol mal mindestens unter die Top 3 der Spots katapultiert hat, die jeder DnB-Fan mal besucht haben sollte. Jedenfalls impliziert „Heritage & Sound“, dass er eine Erbschaft antritt und laut Erbrecht weiß man ja: Erbe verpflichtet! In der Erbfolge kommt er (auch in seinem Trademark-Sound) unmittelbar nach Größen wie DLR bzw. The Sauce, die den Platz streng genommen gar nicht freimachen und schon gar nicht in Rente gehen, sondern ihm eher einen besonderen Platz in der Familie zuweisen. Diese Familie heißt Sofa Sound und Molecular zahlt zurück: mit 12 Tracks in feinster Manier. Ähnlich wie die „Eltern“ des sagenumwobenen Bristol-Sounds konzentriert sich der Mann auf dieser LP auf die Simplizität von Produktionsprozessen: auf rollende Beats, garniert mit viel Bass und reichlich Dub-Approach. Bereit der Opener „Cold Hands“ ist ein Beispiel für die Reduktion aufs Wesentliche. Die Drums rollen unaufhörlich und werden umspielt von Soundelementen im Bass- bzw. Synthbereich, die sich während der mehr als 5min Spielzeit viel Zeit nehmen, sich langsam zu verändern. Wozu Hektik, wenn der geneigte Hörer direkt mit Track 1 in den Flow kommen kann?! Noch reduzierter geht es u.a. bei „Levitate“, „Too Easy“ oder „Dica Vibe“ zu. Die Tracks muten tatsächlich staubtrocken an, wirbeln aber ebenjenen aus noch jeder PA dieser Welt. Kollaborationen auf dieser LP gibt es u.a. mit Carasel zu vermelden („The Funk Out“), weiterhin „Brainwash“ (feat. Waeys & Madrush MC) sowie „Next Level“ (feat. Lavance) – allesamt solide, aber für mich jeweils nicht der große Wurf. Den liefert imo „Low End Craze“: ein übel düsterer Roller mit richtig dreckigem Drumming und insgesamt ein Track, der mir die Augenbrauen zusammenzieht. Dubbiges Material ist wie gesagt u.a. mit „Dub Style“ und „Soundclash“ ebenfalls enthalten, nebst jenen Tunes, die hier keine Erwähnung fanden, aber trotzdem einwandfrei sind. Wie das ganze Album: einfach makellos! (Metric)
Release: 15.05.2024
Label: Sofa Sound
Katalognummer: SS011
Wertung: 10/10
Phace – “Everyday LP”
Mehr Albumfutter kommt vom Hamburger Urgestein Phace, der inzwischen zu den absoluten Aushängeschildern gehört, wenn es um Trommelbass aus Deutschland geht. Wiederum muss man konstatieren, dass ausgerechnet jener Sound auf seinem neuen Album in der Minderheit ist. Phace hat sich im Laufe der Jahre stilistisch wahnsinnig geöffnet und spielt inzwischen mit bzw. in den Genres nach eigenem Belieben. Dies fanden wohl die Boys um Zeds Dead ebenfalls spannend, so dass dieser Longplayer auf Deadbeats, statt auf dem hauseigenen Neosignal erschien. Dazu kommt Florians ureigener Humor, durch den er manche Tracks aufzieht wie eine Persiflage auf bestehende, scheinbar unverrückbare Statuten. Ein Mann, der aufbricht, der nicht selten auf visionären Pfaden unterwegs ist und bei dem man trotzdem wie gesagt manchmal nicht so recht weiß, wann er was ernst meint und wann nicht. Der stark techige Ansatz ist indes in seinen Produktionen der letzten Jahre mehr als omnipräsent gewesen. Und der beschert uns hier feine Tunes wie z.B. den Titeltrack „Everyday“, „Blessed“, „Self Talking“, das wunderbare „Kaputt“ (Anm. d. Verf.: schöne Features bei Vision Radio) sowie „In Habits“ – sie allesamt reiten auf der 4/4-Tech-Welle ohne auf den Sack zu gehen oder das Gefühl zu erzeugen: der jetzt auch noch! Phace macht daraus sein eigenes Ding und zwar ohne Nachahmung, sondern mit Köpfchen. Herausgreifen möchte ich hier noch „Fatigue“ als eine amtliche Technonummer sowie „Ein schöner Platz“ (feat. Affe Maria – wat ein geiler Name!) – als einem Hybriden zwischen Garage und Techhouse, wunderbar inszeniert. Ein bisschen Phace everyday und die Welt ist ein besserer Ort, no doubt! (Metric)
Release: 24.05.2024
Label: Deadbeats
Katalognummer: 4003302501
Wertung: 8/10
Wingz – “Ghost LP”
Und auch das dritte Review im Bunde behandelt ein neues Album, genauer gesagt ein Debütalbum. Und zwar von Vienna’s finest: Wingz. Was seinen Sound betrifft, führt Markus schon seit Jahren eine ganz feine Klinge und gelangte damit immerhin bereits auf namhafte Imprints wie Overview, Rebel Music, Dividid oder The Chikara Project. Dabei blieb sein Output konstant und regelmäßig, so jedenfalls mein Eindruck. Fast ein bisschen überraschend, dass sein Album erst jetzt kommt. Hier hilft die Info von Bandcamp weiter, nach der die Bauzeit beinahe zwei Jahre betrug. Wieder auf die Gefahr einer Phrase hin: man hört es dem Release an! Mir gefällt ebenso die Beschreibung, dass das Album zwischen „Licht und Dunkelheit navigiert“. Tatsächlich kann man die Tracks ein Stück weit danach einordnen. Titeltrack und verträumter Opener „Ghost“ macht tatsächlich erst mal Licht im Kühlschrank und öffnet die Tür ganz weit für Wingz’ exquisite Soundscapes. Ähnlichen Charakters ist u.a. „Parting“, die zwei Vocalnummern „Guardian Angel“ (feat. Luke Truth) und „Forgive and Forget“ (feat. Collette Warren) sowie „Tonight“. Ihr erahnt es schon: im Zweifel halte ich es dann doch eher mit der Düsternis und die kommt auf dem Album ebenfalls reichlich zur Entfaltung: ob minimalistisch-entrückt wie bei „Lonely Place“, „Within Me“ oder „Someone“; unaufhörlich marschierend wie bei „Keep Control“ (feat. Rider Shafique, der dritten Vocalnummmer) und „Gambit“ (meinem Favoriten des Albums, bristolianisches Drumming at its finest!) oder bassumwoben und bedrohlich wie bei „Street Echoes“ und „Submission“. Wingz breitet die Flügel in alle Himmelswinkel aus und lässt seine Tracks erhaben und majestätisch über so manchem Kehricht, der an der Erdoberfläche klebt, dahingleiten (Anm. d. Verf.: uns beide eint eine latente Aversion gegen alles, was zu sehr nach Mainstream-Sellout schnuppert). Und wer immer noch nicht genug bekommen kann, hat gerade noch die Möglichkeit auf vier weitere USB-Exclusives via Bandcamp. Das geht locker auch mal ungehört, denn die Qualität, die Wingz mit den 12 vorangegangenen Tracks ablieferte, ist bereits gespenstisch gut! (Metric)
Release: 17.05.2024
Label: Overview Music
Katalognummer: OVR0LP001
Wertung: 9/10
Kuttin Edge – „No plot, just vibes“
Zwar lädt der Albumtitel dazu ein, nicht weiter über den Plot zur Platte nachzudenken, aber zumindest kurz anreißen möcht ich das St. Paulianische Original hinter den Vibes, Alexander Meinhardt, doch gerne. Ich weiß, die Diskographie des Kuttin Edge Projekts passt gerade mal auf einen Astra Bierdeckel, die dazugehörigen Geschichten sind dafür aber umso weit-zurück-reichender. In den 90ern und 2000ern war der junge Herr Edge beispielsweise nämlich bereits ein essentieller Bestandteil dem Frankfurter DnB Großstadtjungle, sowohl als DJ, als auch als Promoter, Teil der Solid Solid Crew, seit 1997 auch als Krunchtime Radio Host und seit 2005 auch Labelinhaber von Trackdonalds – und ich lasse gerade einiges aus! In 2008 entschied sich Alex erstmal gegen die Weiterführung der Musikgeschichte, und gab sich stattdessen dem Design hin. Zwar konnte er sich dadurch Zusammenarbeit mit wirklich fast allen mit Rang und Namen, von Adidas bis Nintendo, erarbeiten, ein besonders guter Besuch bei SUNANDBASS rund 10 Jahre später ließ ihn dann aber doch zurück zu den Trommelbässen rennen. Die neuen Skills hat er dann auch direkt in den Staffeln 11 bis 13 des Krunchtime Radios, und ab 2022 dann auch für seine eigenen Produktionen auf Modern Conveniences, Lockjaw’s Locked Concept, Lynx‘ Detail Recordings und Soul In Motion flexen können. Es gäbe noch so, SO viele andere Fun Facts, Projekte und Interessantes was ich hier ausbreiten könnte, aber kommen wir lieber endlich mal zur Musik: Auf seinem neu dafür in’s Leben gerufenen Label, Krunchtime Records, gibt’s nun 15 kompromisslose Vibe Maschinen ohne großes Tammtamm drumherum. Besonders „waiting (All Night)“’s wunderbar nostalgisch synthetisierte Vocoderlandschaft hat es mir angetan, aber „Montreal“’s spacige Piepse und Vocalgeschnipsel, „Laguna Seca“’s seicht-schief hinundherschaukelndes Detailfeuerwerk, oder „Who can explain to me“’s warme Abende am lodernden Bass-Kamin, und echt so ziemlich jeder andere Tune hier drauf gibt einem einen Einblick in das synthhafte Land, wo Vibes und Honig fließen. Selbst die uhrig-Hamburgischen Voicemail Skits fügen sich perfekt in’s Bild ein. Ganz großes Kino! (Lennart Hoffmann)
Release: 29.05.2024
Label: Krunchtime Records
Katalognummer: KRISPY001DL
Wertung: 9.5/10
O&P, Hackwaves – „Funk“
Bisschen Neuro gefällig? Dann hab ich gleich Namen für euch parat: O&P und Hackwaves! O&P mag zwar erstmal wie eine typische Businessabkürzung aus der C-Etage klingen (ich bin da ein wenig traumatisiert in letzter Zeit), aber dahinter verbergen sich in diesem Fall die Hamburger Lüdden Oliver Kück und Philipp Holst! Mit Wurzeln in der Punk- und/oder Metal-Ecke war der Schritt zum etwas härteren DnB dann auch nich mehr fern, und seit 2023 hauen sie auf Labels wie Abducted, Stonx, Raving Panda und Hanzom ordentlich & phatte Tunes raus, manchmal solo, manchmal zusammen mit Leuten wie stonxtastischem Hamburschen Sindicate oder den Jungs von Notequal. Und diesmal zusammen mit neurofunkiger Sevillaborrate Fernando Leal, besser bekannt als Hackwaves! Je nachdem, in welchen musikalischen Kreisen ihr sonst so verkehrt, aber vielleicht auch bekannter als QKHack! Seit 2013 gab’s unter dem Namen nämlich schon so einiges feurig-knallendes Crossbreed und Hard DnB Geschrammel, nach rund 10 Jahren wurde die Energieschraube dann aber noch mal ein kleines bisschen runtergedreht, auf „normal“-nasty Neurofunk Niveau. Nun als Hackwaves unterwegs, hat Fernando ebenfalls schon so einiges an Temazos auf Expedite, Gutting Audio und in Kollaboration mit MIDNIGHT CVLT dann letztens auch auf Eatbrain rausgehauen. Mit „Funk“ auf Sinful Maze kommen diese drei ungeheuer spaßigen neuen Namen nun zusammen für ein erstklassig neurofunkiges Stelldichein der neuen Schule, voller alles-zerhackstückelnder Vocal Chops, alles-überrollender Drum-und-Bässe und alles-übertreffend dramatisch-epischer Atmosphäre. Und das ganze auch noch für umme! (Lennart Hoffmann)
Release: 27.05.2024
Label: Sinful Maze Recordings
Katalognummer: -/-
Wertung: 9/10
VENAL, Imou – „Interference“
Genug Nordenfokus für heute, für den dritten Pick geht’s diesmal wieder ab in den Süden, nach Österreich! Nicht für den Ski, sondern für den schier unendlichen Quell an neuen Talenten, der sich in letzter Zeit in der Alpenregion immer und immer weiter ausbreitet. Ein besonders neuer und guter: VENAL! Kennt man seit 2021 eventuell auch schon als den sehr glitchy, sehr multi-genre Apollion, mit Releases auf internationalen Labels wie Electric Wave und Space Yacht, ab 2023 ging das Projekt dann aber Apollioffline, und wurde durch das viel mysteriösere, bisher zumindest DnB-only Projekt VENAL ersetzt. Bisher hat er sich sowohl mit Bootlegs für What So Not und Flume, als auch auf der kompletten Eigenproduktion Metamorphosis ausgetobt, und mit „Interference“ kommt nun der vierte Streich hinzu! Warte, aber da ist doch noch ein zweiter Name: Imou! Ach Mensch, über den hatten wir doch letztes Jahr erst gequasselt, als der gute Timo seine Mars EP auf Stellar veröffentlichte. Was gibt’s bei dem denn so neues? Fred again.. und Mura Masa Bootlegs, letzterer kollaborativ mit Senkrechtstarter FEISTLING, und ein Umzug nach Berlin – und dann sind wir auch schon wieder bei „Interference“ angekommen! In feinster Newschoolmanier, fördern die beiden Talente solch außerordentlich strange Sounds zu Tage, bauen so eine wunderbar bedrückende Atmosphäre auf und verpacken das Ganze dann noch mit allerlei Melodei, dass man gar nicht anders kann, als es zu feiern. Großartig! (Lennart Hoffmann)
Release: 05.06.2024
Label: Selfreleased
Katalognummer: -/-
Wertung: 9/10
Aku – „Painful Thoughts“
Last but not least, spring ich zum Ende noch mal in die Zukunft, die sich dieses Mal in Belgien versteckt. Dort hat Jungspund Julien Stephan Acken, ausgebildeter Gitarrist, seit längerem auch schon DJ und seit neuestem auch bekannt als Aku, in letzter Zeit nämlich einiges an wahrlich wunderschönen futuristischen Kompositionen gezaubert, von denen die ersten Exemplare jetzt so langsam in die Welt heraustrudeln. Anders als viele andere in der Nische hier, geht’s dabei nicht über Selfreleases, sondern über FUTURE, Don Diablo’s Hexagon-Ableger für alles was nicht zum Hauptlabel passt – also alles was nicht gerade House ist. Schon seit einiger Zeit gibt’s da immer mal wieder echt grandiosen DnB inmitten all der anderen Genres zu bestaunen, allen voran die Alora EP in 2022, aber seitdem der Laden vom langjährigen Hexagon Jünger Wessel Hop übernommen wurde, ist FUTURE zu einer wahren Drum-and-Bastion der Zukunft des Genres geworden. Zu Namen wie [BORDERS], Puzzle, DIVICIOUX, Howlan und Foks gesellte sich seit diesem Jahr dann auch Multi-Genre Vibemaster Aku hinzu! Nach dem Trap-Wave Debüt „Paralysed“, probiert sich Aku nun auch auf wesentlich schnelleren Tempos aus, mit dem Followup „Painful Thoughts“. Anders als bei vielen anderen, die so von Genre zu Genre hüpfen wie Aku, gibt’s hier allerdings nicht nur wunderbar einzigartige, aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Genres inspirierte Vibes, sondern auch perfekt gesetzte Switchups, die einen vom sanft rollenden zum euphorisch steppenden und am Ende sogar in’s pointiert zackige Schnellfeuer führen – einfach genial! (Lennart Hoffmann)
Release: 07.06.2024
Label: FUTURE
Katalognummer: FUTURE101
Wertung: 9.5/10