Joel Sevin – “Things, Thoughts and Tools LP”
Durch die Analogie zu meinen aktuellen Charts auf baesse.de, wo dieses Album von der Pole- Position aus grüßt, drängt es sich geradezu auf, ein paar Zeilen darüber zu schreiben. Dabei kann man wahrlich nicht genug tun, um Sevins Musik zu würdigen. Die ist seit Jahren genial! Immerhin ist auch Grooverider vor einiger Zeit auf ihn aufmerksam geworden und gab entsprechend Support auf Rinse FM. Für seine Tracks nutze ich nach wie vor gern den von mir entwickelten Begriff „Jazzstep“ – im erweiterten Sinne kann man sagen, dass hier vorliegendes Album schwer von den Einflüssen des Jazz und Funk bzw. Rare groove geprägt ist. Es ist die Art und Weise, wie Joel jene Einflüsse aufnimmt und sie eben nicht wie Fremdkörper in einem Drum´n´Bass-Tune wirken, sondern er bekommt die Verschmelzung meisterlich hin und interpretiert die Einflüsse nicht nur, sondern erschafft etwas Neues, was gleichzeitig jazzig und broken beat ist – Jazzstep eben! (sic!) Der andere Teil der Wahrheit ist, dass es neben dem ganzen 4-to-the-floor-Bänger-Gedöns unglaublich erfrischend ist, mal so ein musikalisch wertvolles, non-cheesiges und weitab von commercial purposes befindliches Album reviewen zu dürfen. Dabei sind meine Favoriten des Albums ganz unterschiedlich gelagert: ob der ultrafunkige Opener „Fridays“, das laidback „Pause“, das elevating „Reverie“ (inkl. feiner Gitarrenriffs), das calling „Say It“ (erinnert bisschen ans Sammeln auf dem Schulhof), das classy „Set Me Free“ (inkl. Amen-Parts) oder das entrückte „Hush“ (passend zum einsetzenden Herbst) – hier ist es mal wieder so, dass jeder Titel seinen eigenen Approach mitbringt und durch diesen innerhalb der 14 Titel sehr individuell und einzigartig wird. Übrigens kann Sevin auch fiesere Basslines, wie das „Will Miles Tribute“ und „Jedi“ (beide eher junglig) sowie „Wobbly Bit“ und das vergleichsweise mit hartem Beat versehene „I Am Serious“ beweisen. Seine Königsdisziplin bleibt aber der musikalische Drum´n´Bass mit den erlesenen organischen Zutaten. Es bleibt zu hoffen, dass es das nicht gewesen ist. Von FB hat er sich verabschiedet, wenn ich das richtig verstand, sinngemäß sogar, dass er aufgrund der Umstände dem Musikmachen ganz den Rücken kehre. Auf Soundcloud wird man via Click auf seinen Namen direkt zu Fokuz weitergeleitet. Bleibt nur noch Insta. Request ist raus! Bitte Joel, wir brauchen deine Qualität und deine Klasse, sonst könnte eines Tages nur noch Einheitsbrei übrig bleiben. Btw.: so underrated, wie dieser Typ ist, so mutet der Titel dieser LP an: für mich sind es viel mehr als „Things, Thoughts and Tools“ – für mich ist es eines der Alben des Jahres! Also gehet hin, schaltet ein, genießet, träumet und seid ehrfüchtig! So etwas bekommt ihr nicht alle Tage zu hören! (Metric)
Release: 12.08.2024
Label: Fokuz Recordings
Katalognummer: FOKUZLP034
Wertung: 10/10
https://www.junodownload.com/products/sevin-things-thoughts-and-tools-lp/6716583-02/
Deathmachine – “Zone Decay”
Ich zähle hier jetzt nicht zum Vergleich die Artists auf, welche aus dem Bereich Hard-DnB (Darkstep, Crossbreed und Konsorten) zu „seichteren” Gewässern gewechselt sind, weil sie sich eine andere Audience davon versprachen oder aus was für Gründen auch immer. Deathmachine gehört nun jedenfalls auch dazu. Also jedenfalls meine Wenigkeit hat ihn bislang nur mit hartem Stuff (DnB bzw. Hardcore) assoziiert. Prspct bot dafür ja auch die passende Heimat. Hier vorliegende EP ist, so glaube ich, die erste reine DnB-EP von ihm und dann gleich für das astreine Label Blackout. Ich muss konstatieren, dass Stef in Sachen Produktionslevel hier noch mal mindestens zwei Schippen draufgelegt hat. Oder waren da BSE mit im Spiel? Die EP ist jedenfalls irre druckvoll geworden. Opener „Freakshow“ mit der screwdriving-Bassline avanciert denn auch gleich zu meinem Favoriten, Marke Floorzerstörer! „Not Accurate“ geht eher in die Stepper-Kategorie, macht das aber ganz clever mit angerissenen Sägezahn-Sounds. „Undercurrent“ ist dann eher klassischer Neuro und erinnert an die Tracks von State Of Mind. Wo wir bei klassisch sind: Klasse Einstand für den Mann aus Birmingham, der hier für jemanden aus UK einen eher untypischen Sound abliefert. Hätte tatsächlich gedacht, er wäre eher ein Landsmann von BSE. Wieder was gelernt! (Metric)
Release: 23.08.2024
Label: Blackout Music NL
Katalognummer: BLCKTNL173
Wertung: 9/10
Myselor – “Intuition”
Entschuldigung, aber ich kann nicht anders. Ich muss hier noch ein Neuro-Release reviewen, einfach weil es so gut ist! Über Myselor habe ich vor einigen Monaten schon geschrieben. Btw. auch so ein underrated Typ. Nun ist er zurück auf Eatbrain mit dem Six-Tracker „Intuition“. Und es ist wieder so ein kraftvolles Release geworden, dass vor allem neben den zeitgenössischen Neurobeats noch allerhand Soundscapes bereithält, die mancherorts möglicherweise etwas abhanden gekommen sein könnten. Der Stuff von Myselor ist so episch, dass er nach wie vor mehr Aufmerksamkeit verdient. Deshalb schnell zu meinen Favs, es sind derer zwei: der Titeltrack „Intuition“ – auf techigen Pfaden unterwegs und läuft dabei wie Uhrwerk sowie „Full Force“ – voll auf Peaktime getrimmt, mit Circle-Bassline und erinnert an die Tracks von Burr Oak oder den Teddy Killerz. Nicht falsch verstehen, die übrigen drei Tracks stehen qualitativ in nichts nach, das gewisse Etwas fand ich indes eher bei den beiden genannten. Was die Tunes eint, sind die cineastischen Intros und ewiglangen Buildups, so dass man beim Einsetzen des Drops durchaus von Erlösung sprechen kann. Analog halten einige Tracks ein entschleunigendes Outro bereit, ähnlich dem Auslaufen eines Leistunggsportlers. Ich empfehle auch die gewissenhaft zu hören. So gesehen habt ihr hier genug Material vorliegen, um euer Set zu beginnen und / oder zu beenden. „Guet, merci“ Mr Myselor, bis zum nächsten Mal! (Metric)
Release: 26.08.2024
Label: Eatbrain
Katalognummer: EATBRAIN191
Wertung: 9/10
Swayed – „Mechanism“
Falls ihr noch nicht das Vergnügen hattet, euch Swayed’s exquisiten Output zu Gemüte zu führen, macht euch auf was gefasst! Ich hab ihn schon mal versucht genauer zu recherchieren, aber mit einem Namen wie Tom Cooper ist der Brite relativ ungooglebar, dementsprechend beginnt seine musikalische Reise für uns eben mit der ersten Swayed Single, in 2021. Da gab’s dann erstmal so Progressive House Vibes, aber ab Set Me Free wurden dann zum Glück unsere herzallerliebsten Trommeln und Bässe freigelassen, von deepen Sounddesign Spielereien bis hin zu catchy Dancefloor Hymnen. Und mit „Mechanism“ kommen jetzt auch noch alles zerreißende Alien Sounds dazu! Ich weiß auch gar nicht, wie ich das sonst noch irgendwie anders beschreiben kann, Tom liefert hier einfach so einen abgrundtief zerstörerischen Banger ab, das muss man einfach selber mal anhören. Das auf ’nem Soundsystem wäre Extremsport für die Ohren – mega mega fett! (Lennart Hoffmann)
Release: 29.08.2024
Label: Selfreleased
Katalognummer: -/-
Wertung: 9.5/10
First Person – „Take You Higher“
Apropos fett – Kennt ihr eigentlich schon First Person? Na gut, ich geb wieder ’ne Geschichtsstund‘. Der Name ist zwar neu, der aus Amsterdam stammende Musiker Kevin Hoogers treibt sich aber nämlich schon länger in der Szene rum, als ein Drittel der Audio Killers! Nachdem Bald-Album-Rausbringer The Clamps ihn 2017 von den wunderbaren Klängen des Neurofunks überzeugte, tat er sich 2019 mit seinen Freunden Dylan Szekula und Floyd Cornelisse zusammen, um nicht nur auf Events wie Rampage Open Air, Korsakov und State Of Unrest zu spielen, sondern auch um selbst am Genre mitzuwerkeln, mit Releases auf Raving Panda, Cause4Concern und eben auch dem ebenfalls in Amsterdam ansässigen Skamele Recordings. Letztes Jahr war es dann soweit, dass sich Kevin verselbstständigt hat und das Soloprojekt um das es heute geht in’s Leben gerufen hat! Natürlich kam das Knaller-Debüt auch wieder auf Skamele, mit dazugehörigem Remix Paket rund ein Jahr später, aber ihn hat’s auch schon auf Dirtbox und Mindicted für zwei extraordinär abreißende Remixe verschlagen, und ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass er sehr bald auch auf einem anderen großen Neurofunk Label seinen Einstand feiern wird. Jetzt gibt’s aber erstmal seine neueste – und meiner Meinung nach sogar bisher beste – Single, Take You Higher! Schon letztes Jahr beim großen Korsakov Weekender wurde mir der Tune um die Ohren geblasen, aber selbst das hat mich nicht darauf vorbereitet wie massivst fetzig dieser Genuss in Audioform am Ende wurde. Erdbebenartige Bässe, ein wahrlich meisterhafter Einsatz von Vocalschnitzeleien, ein Drum Wirbelsturm, der einem überhaupt gar keine Chance lässt, still sitzen zu bleiben – einfach genial. (Lennart Hoffmann)
Release: 30.08.2024
Label: Skamele Recordings
Katalognummer: -/-
Wertung: 10/10
Croo – „Gossip / Homies“
Und noch ein sehr neuer Name: Croo! Nee, nicht der mit der Maske. Ayaal Mikhaylov, aus Novosibirsk in Russland! Erst seit diesem Jahr gibt’s so richtig Output des Newcomers zu genießen, dafür ist er aber mit seinem wunderbar diversen Sound schon bereits auf russischen Untergrund Labels Invasion, Paperfunk und Monkey B Studio gelandet – und ich hab aus irgendeinem Grund rein gar nichts davon mitbekommen. Zum Glück bin ich dann schlussendlich von seinem neuesten Doppelschlag auf dem unglaublich underratedten High Resistance, das für russische Verhältnisse wahrscheinlich am ehesten dem Dancefloor zugeneigte Label, um’s Ohr gehauen worden, und da dacht ich mir, ich teil meine freudige Entdeckung gleich mal mit euch! „Gossip“ ist mit seinem soulig funkigen Vocal, den synkopierten Drums und den wirklich vibey Synths schon super fresh, aber es war „Homies“, mit seiner durch zwanzig Runden Kompressionsverzerrung durchgejagten Hiphop und Rave Atmosphäre von der alten Schule, den wahrhaft knusprigen Akkorden, und dem absoluten Ohrenschmaus in der zweiten Hälfte, der mich dann endgültig überzeugt hat. Echt cool! (Lennart Hoffmann)
Release: 06.09.2024
Label: High Resistance
Katalognummer: HIRE109
Wertung: 8.5/10
Comet, Curious Mind – „Torn“
Zu guter Letzt dann doch noch mal der Sprung zurück zu den Niedernachbarn, aber diesmal dann doch eher in die Jump Up Dancefloor Fusion™️ Richtung. Auf der einen Seite dieses Zweiergespanns im Titel haben wir Wiebe van Herwijnen, besser bekannt als Comet, der seit 2021 sein Unwesen treibt. Erstmal weitesgehend selbst gemanaged und nur mal hier und da, recht kurz nach seiner karriereweisenden Teilnahme am Pitcch Bali Production Camp startete er dann aber auch schon auf Labels wie High Tea, YosH Bass und CRUCAST durch – und für die Nebula Events in seiner Heimat Eindhoven ist er auch verantwortlich! In der anderen Ecke, haben wir Guido Bosmans, der unter seinem echten Namen oder auch als Guido B bereits alles von Hip-Hop und House zu Trap und EDM durchprobiert hat, seit 2022 dann aber eher unter Curious Mind im DnBereich unterwegs ist. Auch er genoss ein recht einzigartiges Mentoring, in diesem Fall von Twenty 4 Seven Begründer Ruud van Rijen, und auch er startete mit Selfreleases durch, aber natürlich konnte er dann auch alsbald Labels wie FUTURE, YosH Bass und Liquicity’s Geschwisterlabel Ridmic von sich überzeugen. Die beiden sind aber auch nicht nur einzeln wahre Maschinen, die es schaffen höchste Qualität mit Quantität zu vereinen, zusammen hauen sie seit ein paar Monaten auch einen Banger nach dem anderen raus, auf FUTURE, SKINK, und bald sogar auch DnB Allstars! Für das heutige Gruppenprojekt „Torn“ geht’s dabei wieder auf SKINK zur SKANKigen Sache, mit herzzerbrechenden Vocals, fensterglaszerschmetternden Bässen und gesichtsverzerrenden Synthmaschinengewehrfeuer. Fire! (Lennart Hoffmann)
Release: 30.08.2024
Label: Skink
Katalognummer: SK324
Wertung: 8.5/10