Blend – „Chrome Remixed EP“
Nach einer, nunja, blendend klingenden Debüt-EP vor rund einem Jahr, die sich ihre extremst verdienten Lohrbeeren auch hier bei uns abgeholt hat, ist das Schweizer Newcomer-Duo nun zurück, mit vier komplett frischen Neuauflagen ihrer Erstlinge! Langweiligkeitshyme PRVLG wurde zum Beispiel vom Man Of The Minute, Noisia Remixer und Reading-residierenden Jake „VISLA“ Cummins zum grandios glitchigen, gewiss gewichtigen Growler umfunktioniert. Jonas „Smuskind“ Asiedu, Resident der Essener CRYPT Crew, zusammen mit Julian Kush auch als Dot.Mode bekannt, und generell früher noch mit Dominik Hofmann zusammen am Smuskinden, hat sich hingegen Vocalverschnitzler BB angenommen, der in der neuen Version bounciger, treibender und zwar immer noch düster, aber doch durchaus verspielter herumspringt. CRYPT-Kollege Felix Raymon, international vielleicht als UKF’s One To Watch 2019 bekannt und seinerseits, wenn es nach mir geht, Deutschland’s underratedster Producer, taut den atmosphärischen Umherschleicher Beg Me Pardon mit einer gehörigen Portion Flava auf, die bei mir nicht nur auch beim zwanzigsten Mal Gänsehaut hervorruft, sondern dank 4×4 Einlagen und eines wunderbarst abgehackselten zweiten Drops auch einfach zutiefst abwechslungsreich ist. Apropos Abwechslung, zu guter Letzt bringt Schweizerin, Hälfte von STREIKTHROUGH und Zehntel des Berner CRTTR Kollektivs Julia „Chewlie“ Häller noch mal niedrig tempisierten Schwung in die Titeltrack Bude. Vibes garantiert! (Lennart Hoffmann)
Release: 15.11.2024
Label: Drum Army
Katalognummer: NI017
Wertung: 9/10
Jade Sierra – „anywhere but here EP“
Springen wir mal wieder rüber in die Niederlande, wo ABIS‘ wunderbares DIVIDID Label, mal wieder, die Debüt-EP eines schier unglaublichen Talentes herausgebracht hat: Jade Sierra! Während das Sierralias noch brand neu ist, ist der Niederländer dahinter, John Valkenburg, schon viel viel länger und viel viel tiefer in unserer Szene verankert, als man vielleicht denkt. Er war nicht nur Bandana Model für Eatbrain und ganz nebenher auch übrigens der Bruder von Liquicity Superstar Lexurus, er hat auch beim legendären Artistmanager Walter Flapper als Assistent gearbeitet, über seine Firma Yakana Show Advancing und Patreon Konsultationen betrieben, war Booking Assistent bei YUKU, und ist dazu auch noch ganz viel mit der Kamera unterwegs. Ach, und Java kann er auch. Seit seinem Debüt Release, auf NIGHTMODE Records mit Malixe im Boot, ist nun außerdem klar, dass John nicht nur einen krassen Lebenslauf hat, sondern auch noch verdammt gut Musik produzieren kann. Mit dem von seinen kürzlichen Japan Trips inspirierten und mit dort aufgenommenen Feldaufnahmen bestückten DIVIDID Viertracker „anywhere but here EP“ zeigt er uns, dass „verdammt gut“ noch nicht positiv genug formuliert war. Dubstep-Opener 2hard2move sprudelt nur so über vor ohrenbetäubendem Bass, Gehirn-neuanordnendem Sounddesign und tollen atmosphärischen Samples; „let me down“ hat nicht nur vielschichtige, glitzernd-bezaubernde Melodien am Start, sondern entfacht auch ein loderndes Trommelfeuer und lässt pur böse Bässe auf einen los; „do u think about me“ baut ebenfalls ein dickes Geflecht aus Mengengeraschel und kristallener Atmosphöre auf, bevor es dann die Sounddesign Kanonen auf uns abfeuert; und „i dont wanna“ bringt das Ganze zu einem wunderbar breakigen, shimmery, glitchery Ende. Eine überragende Kombination aus melodisch und ballernd, bitte bitte mehr davon! (Lennart Hoffmann)
Release: 29.11.2024
Label: DIVIDID
Katalognummer: DIVIDID044
Wertung: 9.5/10
BULC – „Fading Away…“
Wo wir schon mal da sind, lasst uns doch gleich noch einen Niederländer abfrühstücken: Mathies van den Bulck, in unseren Sphären auch bekannt als BULC! Aber, und das ist hier das Hauptproblem, einfach noch nicht bekannt *genug*! Inspiriert von den futuristischen Klängen von Flume und den melodischen Fähigkeiten der Kygos und Martin Garrixes, hat der Hulsteraner bereits seit 2019 unter dem MTHS Handle so einiges in Richtung House – Bass und Future – und Dubstep zusammengebastelt, aber auch DnB fand sich mit der Zeit immer häufiger auf seinem zweiten Account wieder. 2023 kam dann der Wandel von Zweit- zu neuem Hauptaccount – BULC war geboren! Mit seinem expressiven Sounddesign hat er mich bereits auf seinem Debüt „Solar“ extremst abgeholt, aber der diesjährige Follow-up „Fading Away…“ hats geschafft, einfach noch krasser zu sein. Wie ein Pingpongball hin und her flitzende Synths geleiten uns zu einem dramaturgisch perfekt inszenierten Buildup, der in ein Feuerwerk aus zusammengeschnipselten Breaks, tief röchelndem Zitterbass und wunderbarst melancholischem Synthgechorde mündet, welches kurz danach auch noch mal in Highspeedausführung präsentiert wird. So so so gut. Soll wohl bald mehr geben, aber bis dahin, gebt dem Tune gefälligst mal ein paar Plays! (Lennart Hoffmann)
Release: 29.11.2024
Label: Selfreleased
Katalognummer: /
Wertung: 9.5/10
CÅARL – „OH OH OH OH“
Es gibt so viele tolle Leute, die sich für diese unsere Szene einsetzen. Selbst ich stolpere immer noch mal immer mal wieder über – für mich – neue Namen, die aber eigentlich schon seit Jahren, oder sogar Jahrzehnten grandiose Arbeit leisten. Der neueste in der Reihe: Genome Records! Schon seit 2011 (!), fanden sich Namen wie Dub Elements, L33 oder auch Fade Black’s / Bastion’s Cruk auf dem Barcelonischen Label wieder, aber auch heutzutage gibt’s mit Namen wie Binary, MV, Omneum oder Nemy immer noch feinste Kost. Und mit CÅARL haben sie nun einen wahrhaftig einzigartigen Fund zu Tage gefördert! Seit 2018 betreibt der Sounddesigner aus Utah schon seine musikalischen Experimente unter dem Banner „Understanding Through Annihilation“ – ein Motto, was ihr sofort versteht wenn ihr euch seine Diskographie zur Gemüte führt. Auch der neueste, „OH OH OH OH“, bietet nicht nur die titulären Vocal-Oh-Oh-Oh-rwürmer, es gibt auch allerhand Zerhackschnetzelungen der Drums, Rhythmiken, die einem in der Form selten bis gar nicht unterkommen, Sounds, die einen glauben lassen, diese Drohnen sind wirklich alles Aliens, und alles trotzdem irgendwie kohärent zu einem Mega-Banger verpackt. „Wow“ ist glaub ich das richtige Wort. (Lennart Hoffmann)
Release: 29.11.2024
Label: Genome Records
Katalognummer: GNEDIG057
Wertung: 9.5/10
Mefjus – “Emulation X”
10 Jahre “Emulation”, wow! Auch schon wieder eine Dekade vergangen, seit der österreichische Ausnahmekönner sein Debütalbum vorlegte. Mit dieser Art der Reminiszenz (in dem Falle Remixe) kann ich mich übrigens wesentlich mehr identifizieren, als mit reinen Re-Releases bzw. Remasterings. Mir gefällt der Umstand, wenn sich wie hier auch eine jüngere Generation an talentierten Producern an Tracks vergreifen darf, die erschienen sind, als sie vielleicht selbst noch Kinder waren. Na und ein paar alte Hasen durften schließlich auch noch ran. Ingesamt fünf Reinterpretationen sind’s für diese EP geworden. SMG gibt den Einstand (bzw. den Opener) mit seinem Remix für “Change Of Mind“ (feat. Maksim MC). Heraus kommt ein fieser Schrauber inklusive geshuffelter-Newskool-Bassline. Bass wird hier groß geschrieben! Sofort ins Auge fällt natürlich der “Suicide Bassline Remix“, hier von Enei. Okay, das kam jetzt doch überraschend, denn Enei ist jetzt nicht unbedingt der Mann für Peaktime-Remixe. Doch er macht das bravourös. Die Drums einen Ticken minimalistischer, das Vocal etwas tiefer, gefolgt von nem Oldskool-ravigen Riff und den Drop dann mit Sägezahnbassline garniert. Sollte seine Wirkung auf´m Floor nicht verfehlen. In der Mitte des Releases nimmt sich der Meister höchstselbst seinen Titeltrack vor. Spannend ist, den „Emulation Remix“ mal mit dem Original zu vergleichen. Die Unterschiede in Sachen Drumming, Mixdown und Frequenzspektrum sind schon eklatant. Dabei war das Album damals durchaus ahead of the times! Anyway, es geht weiter mit Vislas Remix für „Saturate“. Das ist überraschend ravig geworden, säbelt mir aber ehrlich gesagt etwas zu sehr auf diesem einen lethal Sound herum. Den Abschluss macht der Remix von Altmeister Calyx für „Surrounded“. Seitdem Calyx wieder solo produziert, muss ich sagen, dass ich seine Sachen teilweise gigantisch finde. Jener Remix hier ist vielleicht besserer Durchschnitt und trotzdem hört man einen gewissen Trademark heraus: satter Bass, leicht trancige Klanglandschaften und kurze, eingestreute Soundsnippets. Die Unterschiedlichkeit der hier vorliegenden Arbeiten machen das Release in jedem Falle zu einem Erlebnis. Gebt euch das, in diesem Projekt steckt eine Menge Potenzial! (Metric)
Release: 22.11.2024
Label: Critical Music
Katalognummer: CRITLP07R
Wertung: 9/10
Erotic Café – “In The Midst Of Bias LP”
Von den unzähligen nachrückenden Producer-Talenten ist Erotic Café ganz sicher einer der buntesten Vögel. Und das nicht nur wegen seines provokativen Namens. Der junge Italiener brachte sein musikalisches (Un)wesen bereits bei Rockwells Obsolete Medium, Sine Audio, Program und Incurzion Audio zur Geltung. Für NËU stehen ebenso schon EPs zu Buche – und nun also ein Album. Zunächst kann man nur sagen: verrücktes Zeug! Betrachtet man mal den Act in seiner Ganzheit, also wie der Kollege mit Namen, Sound und Approach in die Szene reingedarkt kam, so muss man sagen, erinnert mich das sehr an Noise Parfumerie. Doch natürlich hinkt der Vergleich. Die Beats bei Erotic Café sind minimalistischer, mehr Bristol-esk, es klingt wesentlich stärker nach UK. Der Newskool-Touch ist natürlich nicht von der Hand zu weisen, deshalb ist wohl auch NËU das Imprint der Wahl geworden. Nun könnte man sagen, dass die Tracks so ziemlich das Gegenteil von DJ-Futter sind. Ihre Arrangements sind dermaßen aufgedröselt mosaikiert, dass sich die Nerds da draußen daran gern mehrere Wölfe mixen dürfen. Aus artifizieller Hinsicht hingegen sind solche Tabubrüche natürlich immer interessant, also wenn Producer mal so richtig ausloten, was geht. Dennoch ist das hier bisweilen IDM auf DnB interpretiert. Da sollte man verdauungstechnisch schon gut aufgestellt sein. Neben den mikroskopisch-sezierenden Tracks findet sich praktisch nur ein Kracher auf der LP und zwar mit Track 10 ganz am Ende, namens „Stfu“, so nach dem Motto: nach dem naturwissenschaftlichen Leistungskurs geb ich´s euch jetzt noch mal. Das Ding erinnert an Releases auf Neksus und fetzt mir richtig. Auffällig sind auch die Collabs, u.a. mit Ruinna („Psyche Melt“ – nicht weniger nerdig als der Rest) – der bereits einen fetten Remix für Proxima hinlegte sowie mit LaMeduza („Chi Va Piano“) – ganz anderer Track-Gestus als man bei einer Collab mit ihr erwarten dürfte. Inmitten der zehn Tracks haben sich mit „Hotta“ (feat. KG Man) und „Opposites Collide“ (feat. Ian) übrigens auch zwei 120er-Nummern eingeschlichen. Kein Problem, denn die Jungs von NËU sind ja grundsätzlich offen, was darke Bass Music angeht. Ich freue mich, dass sie dem Marco hier eine umfassendere Plattform geben. Ob ihn mit dem Nachnamen Donnarumma eine Verwandtschaft mit dem PSG-Torhüter verbindet, bliebe indes zu eruieren. Mit dem Album hier macht er sich jedenfalls ähnlich lang wie Gianluigi bei seinen besten Paraden! (Metric)
Release: 13.11.2024
Label: NËU
Katalognummer: NEULP001
Wertung: 8/10
Agressor Bunx – “Chasing The Horizon”
Agressor Bunx sind zurück auf dem Mutterschiff Eatbrain! Die beiden sympathischen Brüder hatten, seit sie auf den Plan gekommen sind, einen unfassbaren Lauf, der durch nichts erschütterlich schien. Dann waren sie durch die politischen Umstände in ihrer ukrainischen Heimat plötzlich direkt betroffen und man hatte das Gefühl, die Jungs mussten sich selbst erst mal ein bisschen sortieren und das Release-Kontinuum bekam einen kleinen Knick. Ihr letztes Release datiert auf Anfang 24 auf Hanzom und nun gibt’s also einen neuer 4-Tracker auf dem Neurofunk-Aushängeschild par excellence. Dabei sind AB gefühlt nie diejenigen gewesen, die sich auf den post-progressiven Neurofunk-Zug aufgeschwungen haben, sondern haben im Zweifel eher einen Gang zurückgeschaltet und sich lieber der Darkness und der Suche nach ungehörten Zwischensounds begeben. Ich möchte sogar behaupten, dass sich Menschen, die es nicht so mit Neurofunk halten, am ehesten noch auf so was wie AB einlassen, eben weil es nicht den typischen Peaktime-Trigger anschmeißt, sondern es den beiden hörbar um etwas anderes geht. Wie sie selbst mal sagten: darum, Dinge auszuprobieren und ungehörte Sounds einzubinden, um zu gucken, ob es funktioniert. Dabei liefert der Opener der hier vorliegenden EP gleich mal die Antithese. „Rituals“ kommt mit Shufflesynth auf Eichenholz-Drums daher und reest durch den dunklen Wald ohne Gnade. Weiter geht’s mit „The Rush“: mit ravigem-Acid-Oldskool-Approach kommt das Ding tatsächlich recht progressiv daher und wirkt trotzdem nicht typisch Neuro. Cool! „Crystalline“ nimmt erst mal den Druck vom Kessel und geht in Richtung Rollers / Techstep. Mit der Neksus-esken-Sägezahnbassline ist das natürlich genau mein Ding und deshalb auch mein Fav. des Releases, no doubt! Der titelgebende Track kommt hier mal zum Schluss und mimt eher den Laser-Sci-Fi-Part, ohne sich für den Titel der EP zu prädestinieren, denn es ist meiner Ansicht nach nicht der stärkste des Quartetts. Ist auch alles nicht wichtig. Agressor Bunx sind immer noch auf der Jagd. Das ist die gute Nachricht. Denn ihre Beute bedeutet unser Festmahl! (Metric)
Release: 08.11.2024
Label: Eatbrain
Katalognummer: EATBRAIN197
Wertung: 8/10