CaitC, Asha Binx, Insight – „Balance Volume 1“
Ist jetzt auch kein Geheimnis mehr, dass Drum and Bass schon irgendwie so’n Männerverein ist. Das in Brighton angesiedelte Onyx Recordings, dessen großartige Arbeit der letzten Jahre bereits mit dem diesjährigen „Bestes Newcomer Label“ Award ausgezeichnet wurde, hat deshalb nun die Initiative ergriffen. In Zusammenarbeit mit House of Hi-Fi, haben sie letztes Jahr alle weiblichen Produzenten öffentlich dazu aufgerufen, ihre besten Dubs einzureichen. Dabei wollten sie nicht nur wertvolles Feedback und Hilfe anbieten, die besten Tracks sollten dann auch zusammengebündelt und auf dem aufstrebenden Label selbst released werden. Mit dieser ersten Edition der „Balance“ EP Reihe ist genau das jetzt nun auch geschehen! Den Auftakt macht dabei Bristolianerin Asha Binx, mit einem für die Drum and Bass Hauptstadt typischen herrlich tief brummenden Roller „Black Rainbow“, der vor allem für eine aller-aller-erste (!) Produktion echt nicht von schlechten Eltern ist. Von diesem Kopfnickerbeat geht’s direkt nahtlos über zum Vocal-getriebenen Dancefloor, mit CaitC’s „Everything You Say“. Die Niederländerin hat ja schon so einige coole Tracks auf LUX Music und Ridmic rausgehauen, aber dieser neue hier haut noch mal um einiges mehr rein. Zu guter Letzt gibt’s mit Insight aus Devon eine weitere Produzentin Premiere: Auf „What You Do To Me“ nimmt sie uns auf eine Reise durch warm-wohlige Liquid Landschaften, perfekt mit altbekanntem Vocalsample und richtig schönen Melodien. Tolle Initiative und tolle Tracks! (Lennart Hoffmann)
Release: 19.05.2022
Label: Onyx Recordings
Katalognummer: BAL001
Wertung: 8.5/10
Housty – „Assymetrik EP“
Wo wir gerade so halbwegs bei Bristol sind, lasst uns über Jack „Housty“ Houston und seine „Assymetrik“ EP reden! Seit seinem Debütrelease vor knapp zwei Jahren hat er sich durch den halben britischen Untergrund-Label-Dschungel gehangelt, von Transparent Audio zu Incurzion Audio, immer mit einer riesigen Menge Deep Vibes im Gepäck. Eine Entwicklung, die den Talentscouts des frisch gegründeten Labels Goat Shed Records natürlich nicht entgangen ist. Warte, Goat Shed, das waren doch die mit dem Stay At Home Festival, oder? Ganz genau! Unter dem Ziegenbanner gibt’s aber nicht nur erstklassige Livestreams zu finden, im Schuppen gibt’s auch eine eigene Klamottenmarke, Eventreihen in ganz England und seit 2 Monaten nun eben auch ein Label zu finden. Wie all ihre anderen Unternehmungen, ist auch Goat Shed’s Labelarbeit wahrlich exzellent, wie sich auf dieser neuen Housty EP bestens hören lässt. Der als „normalste EP aller Zeiten“ angepriesene Release beginnt seine Reise mit dem Titeltrack „Assymetrik“, der mit einer gehörigen Menge Subbass und einer extra Portion Hall eine richtig schön bedrohlich-düstere Atmosphäre erzeugt. „Thinking Of You“ bringt uns daraufhin in wunderschöne soulige Liquidgefilde, während „Interface“ mit Newcomer Scaypo komplett uns direkt zurück zum Steppersound führt. „Defiance“ rundet das Gesamtbild mit einem starken deepen Roller noch mal perfekt ab. Wirklich gute EP, sowohl Artist als auch Label sollten alle Deep’n’Dark Liebhaber im Auge behalten! (Lennart Hoffmann)
Release: 27.05.2022
Label: Goat Shed Records
Katalognummer: GSR002
Wertung: 9/10
Dezpot – „Weird EP“
Hach, Neurofunk. Auch wenn sich meine persönlichen Vorlieben immer breiter im DnB Kosmos verteilen, hat Neuro immer noch einen ganz besonderen Platz in meinem im 174BPM Rhythmus schlagenden Herzen. Ein Label, welches wirklich immer formidable Arbeit in der Ecke leistet und viel mehr Aufmerksamkeit verdient, ist Sine Function Music. Seit der Gründung durch Fredy „Noizesplitter“ und Fabian „Methis“ vor nun gut 3 Jahren, hat das Schweizer Label seinen Hang für den besonders klingenden Untergrund-Neuro mit zahlreichen tollen Releases ausgelebt. Erst wurde die Musik hauptsächlich von den Labelgründern bereitgestellt, aber über die Jahre kamen auch Neulinge wie Archaea, Samthing, MV oder Dezpot hinzu. Letzterer ist dabei verantwortlich für den neuesten grandiosen Release des Labels, die durchaus passend betitelte „Weird“ EP! Dezpot, der übrigens aus Bourgogne in Frankreich stammt und den man eventuell von seinen Releases auf Abducted und C2D kennt, greift für diesen One-Two-Three Punch auf drei unterschiedlichste Neuro Style zurück. Auf „Down Down Down“ gibt’s relativ unkompliziertes aber durchaus einzigartig klingendes Geballere, in dem vor allem das großartig stimmungsvolle Vocal Sample für viel Atmosphäre sorgt, „Crazy“ erhöht das Tempo daraufhin noch mal um so einiges, sowohl was die Drums angeht als auch die immer mal wieder auftretenden 16tel Melodien, und „Weird“ dreht mit seinen kaputten Rhythmen, außergewöhnlichen Sounds und Switchups so sehr am Rad, dass man kaum noch hinterherkommt. Vor allem der Titeltrack ist sehr empfehlenswert! (Lennart Hoffmann)
Release: 27.05.2022
Label: Sine Function Music
Katalognummer: SINEFUNC016
Wertung: 8.5/10
Spor – „Cave EP“
Spor! Lange Zeit galt Spor schon totgeglaubter Name aus der Urzeit des Neuros, immerhin hatte Jonathan Gooch mit seinem Electro Project Feed Me komplett neue Höhen und Erfolge erzielen können und wer will danach schon noch zurück zu DnB? Nach ein paar Jahren Auszeit kam er dann aber doch 2020 mit der wirklich großartigen Anachronic EP zurück und jetzt gibt’s auch schon den Nachfolger: die „Cave“ EP! Released wurde das Ganze auf deadmau5’s Label mau5trap, auf dem Mr. Gooch damals seinen Durchbruch mit Feed Me hatte. Netter „Full Circle“ Moment auf jeden Fall. Und die Musik ist auch ganz geil! „Let Me Be“ wummert ins feinster Techstep-Manier vor sich her, während sich „Hatchet“ ebenfalls direkt rein in meine Lieblingssongs zip-zappt. Auf „Throw Down Let Go“ zeigt sich Jon von seiner absolut besten melodischen Seite, mit grandios guten Vocals, geschrieben von Ally Sou und Georgia Murray, und einem nach vorne treibenden Instrumental, wie ich es seit „Darkest Hours“ nicht mehr erlebt hab. „Hatfield Tunnel“ schließt die EP mit allerlei einzigartigen Computergeräuschen und einem unschlagbaren Untergrund-Vibe ab. Klassischer Spor durch und durch. Muss ich überhaupt noch mehr sagen? (Lennart Hoffmann)
Release: 20.05.2022
Label: mau5trap
Katalognummer: MAU50467
Wertung: 9.5/10
Grafix – “Half Life LP”
Diesmal gibt’s von meiner Seite nur Album-Reviews! Es scheint, als hätte dieses Format eine Renaissance erfahren. Nun ist es ja häufiger Usus, auf einem Album verschiedene Tempi zu bedienen oder das Ding gar mit Interludes oder Skits zu füllen. Nicht so bei Grafix’ neuem Album „Half Life“. Die 14 Tracks können allesamt auch als DJ-Futter eingesetzt werden und auch wenn ich’s persönlich nicht mehr ganz so mit Uplifting halte, da sich die Kollegen Sub Focus, Wilkinson und Culture Shock inzwischen irgendwie alle gleich anhören, so empfinde ich den Sound von Grafix als immer noch ziemlich frisch, kreativ und echt clever arrangiert. Naturgemäß sind auch einige Vocal-Nummern auf dem Album, aber Grafix schafft es tatsächlich, den Bogen nicht zu überspannen und findet eine gute Balance, sowohl in den Vocal-Tracks selbst, als auch auf das ganze Album gesehen. Hervorzuheben ist hierbei das großartige „Somewhere (feat. Reiki Ruawai)“, was in die Kategorie Mitsingpflicht gehört. Neben dem zu erwartenden Dancefloor-Business wagt Grafix bei einigen Tracks Ausflüge in techige Gefilde, sowohl, was die Beats angeht (z.B. „Accelerate“), als auch im Synthbereich, wenn schon mal acidmäßig eine 303 mitschnalzt (z.B. „Half Life“, „Synchronic“). In ähnlicher Manier pulsiert „Blast Out“, was neben „Somewhere“ mein zweiter Favorit des Albums ist. Richtig lame ist aber kein einziger Titel: alles gut zu hören bzw. aufzulegen. Die upliftende Grundstimmung verlässt das Album nie, aber innerhalb dieser Koordinaten holt Grafix wahrlich alles heraus, was möglich ist. Eine abwechslungsreiche, top produzierte und wirklich kreative LP! (Metric)
Release: 27.05.2022
Label: Hospital Records
Katalognummer: NHS469DD
Wertung: 9/10
Skantia – “Common Ground LP”
Skantia ist der nächste Artist, über den wir sprechen müssen – spätestens jetzt, da er sein Debütalbum auf Ram vorlegt. Der Producer aus Newcastle gehört nicht unbedingt zu den produktivsten in der DnB-Riege und er ist auch erst seit 2017 am Start. Doch wenn was neues von ihm kommt, dann hat das immer Hand und Fuß oder genauer gesagt verbindet Qualität und Innovation. Der Sound von „Common Ground“ reiht sich nahtlos in das kontemporäre Sounddesign, hat ordentlich Productionlevel und auch hier findet man wieder sehr clevere Arrangements. Während sich die LP mit den ersten Titeln zunächst noch etwas eingroovt (z.B. mit dem frickeligen „Twenty 6ix“), gibt „Providence (feat. Nectax)“ schon mal einen Fingerzeig, welch scharfe Klinge er auf dem Spannungsbogen weiter führen wird. Spätestens bei den drei aufeinanderfolgenden Tracks „Chatterbox“, „Relativity“ und „Axis“ entlädt sich’s dann mit voller Wucht. Mit massiven Synthfiguren, viel Subbass und messerscharfem Drumming geht’s direkt rein in den Bassface-Mode. Wem das zu sehr Primetime-Thrashing ist, dem bleibt das rollende „Dreams“ mit seiner leicht schrägen Melo, bevor uns Skantia mit „Tenebris“ nochmal zeigt, wo auf diesem Album seine Hämmer hängen. Hammering LP! (Metric)
Release: 27.05.2022
Label: RAM Records
Katalognummer: RAMMLP48
Wertung: 8/10
NC-17 – “Most Violent Year Album – Part 3”
Der kanadische Producer NC-17 komplettiert die Trilogie mit dem dritten und letzten Teil der „Most Violent Year“- Albumserie. Wenn ich mich recht entsinne, hat der Titel seinen Ursprung in den Corona-Wirren und zumindest ein Großteil der ersten Episode des Albums entstand während des Lockdowns. Es ist bestimmt Zufall, aber ausgerechnet Teil 3 der Serie finde ich am stärksten. Auf dem Longplayer finden sich viele Reminiszenzen an den Prä-Neurofunk-Sound – das ist häufig der Moment, wo Namen wie Ed Rush & Optical oder Bad Company fallen. Tatsächlich ist es doch eine Kunst, den Sound von einst auf das aktuelle Niveau zu heben, ohne dass dessen Ansehen beschmutzt wird. Die Eigeninterpretation gelingt NC-17 vortrefflich und so ist der Opener „Blood Warden“ direkt auch einer meiner Favoriten des Albums. Ausgestattet mit reichlich Bass, wie so viele andere Tracks der LP, rollt das Ding, ohne zu den Rollers zu gehören. „Inverse City (feat. Exile)” ist ein weiteres Bassmonster, was außer einem Vocal aus dem Off und einem hochfrequenten Grind nix weiter braucht. Genug Bass ist ja vorhanden. Meine Güte, es gibt so viele gute, hervorzuhebende Tunes, z.B. „Romeo Is Bleeding“, was uns mit satten Drums und fräsendem Bass in den Skankout Mode rollt. Oder „Turkish Delight“, eine deepe Nummer mit epischer Länge von fast 8min, so zwingend, als wäre das Hirn an zig Kabeln angeschlossen. Ach ja, es gibt noch weitere Kollaborationen, u.a. „Earthquake & Typhoon“ mit dem großartigen Philth – wieder ein properer Skankout-Track oder das tief wabernde „Devour Hope“ mit John Rolodex – einem Artist, der schon zu der Zeit aktiv war, die oben beschrieben wurde. NC-17 ist noch immer ziemlich underrated. Vielleicht ist mit den drei Longplayern nun der Schalter umgelegt. Auf jeden Fall hat er damit gezeigt, was er drauf hat. Und ordentlich Support bei Vision Radio hat er dafür auch in den letzten zwei Jahren bekommen. Zu Recht! (Metric)
Release: 16.04.2022
Label: Dispatch Recordings
Katalognummer: DISNCLP001
Wertung: 8/10