Various Artists – “Exposure 001”
Wer sich noch nicht mit der Talentschmiede des von René LaVice kuratierten Labels DeVice beschäftigt hat, sollte schleunigst seine Hausaufgaben machen! Über die vergangenen Jahre wurde man insbesondere durch die „Exposed“-Compilation-Serie beinahe Abo-mäßig mit neuen Namen versorgt. Ähnlich wie bei der neuen Headsbass-head2head-Serie gibt’s nun hier die Substantivierung, hin zu „Exposure“. Allein, eine grundsätzlich neue Ausrichtung kann ich bei diesem Sampler nicht erkennen. Macht auch nix, denn neue Artists entdecken bereitet mir persönlich Spaß genug. Zunächst muss ich einräumen, dass die Mehrzahl der zwölf Tracks stark auf den Dancefloor schielt und mindestens einen upliftenden Charakter hat. Zwei Vertreter dieses Styles haben es mir dabei besonders angetan: „Concrete“ von Carrier und „Whiplash“ von F3NG. Simply schnörkellose Dancefloor-Nummern und damit irgendwie auch echt vielseitig einsetzbar. Dritter Fav. ist „Taal“ von Rhepuls. Bei diesem Artist muss ich irgendwie immer an beinahe gleichnamigen Track von Camo & Krooked denken. Doch „Taal“ is ungleich techiger und schickt die böse delayed Bassline wie eine Lawine ins Tal bei gleichsam ultra-rollendem Drumming. Tune! Natürlich gibt es auf der Compilation auch liquideres, techigeres oder jungligeres zu entdecken. Aber ihr sollt ja auch noch was zu tun haben. Auch auf Phrasengefahr hin: hier ist wirklich für jeden was dabei! (Metric)
Release: 23.02.2024
Label: DeVice
Katalognummer: DVCE104
Wertung: 8/10
High Contrast – “Anti/Thesis Vol.1”
Ganz ehrlich, das ich mal in die Verlegenheit kommen würde, hier ein HC-Release zu reviewen, hätte ich nie gedacht. So gern ich seine großen Fußabdrücke, die er über eine Dekade hinweg ausschließlich bei Hospital Records hinterließ, würdige und respektiere, so ungleich weniger konnte ich mich mit dem Stuff identifizieren, der danach kam. Anm. d. Verf.: ab hier beinhaltet das Review eine Menge Halbwissen, also tiefere Selbstrecherche ist durchaus erwünscht! Ab 2017 jedenfalls kamen Veröffentlichungen auf 3Beat, einem Liverpooler Label, was es schon seit 1991 gibt und doch irgendwie out of my radar geblieben ist. Jene Releases lagen in meiner Erinnerung jedenfalls überwiegend deutlich unter 174 BPM und riefen bei mir jeweils dieselbe Spontanreaktion hervor: Zenit längst überschritten! Ich fand die Sachen ehrlich gesagt fürchterlich. Zunächst lag die Frage nahe, wieso er überhaupt Hospital verließ. Das Netz sagt, dass man dort nach dem Mistabishi-Gate sehr viel mehr Wert auf Sample-Awareness legte und sich dies mit der stark samplebasierten Musik von High Contrast nicht (mehr) vertrug. Und so musste man dann wohl getrennte Wege gehen. Anyway. Inzwischen (nach meiner Recherche seit reichlich zwei Jahren) existiert sein eigenes Label „Highly Contrasting“ (ein weiterer Beleg, dass die Kreativität mit fortschreitender Karrieredauer verlustig geht?) und darauf hat er bereits u.a. ein „True Colours 20th Anniversary Edition + Remixes“- Albumrelease und eine Handvoll Singles gedroppt. Doch erst die hier vorliegende Single triggerte meine Aufmerksamkeit so, dass es diese Zeilen initialisierte. Und gleich wieder eine Einschränkung: nicht wegen Track 1: „20 Century Jungle“ – integre Jungleheads werden daran ihre Freude haben und denken: wieder ein weiterer former big artist, der auf den Pfad der Jungle-Tugend zurückkehrt. Nein, der zweite Track „High Technology Lifestyle“ katapultierte mich zurück in liebenswerte High Contrast-Tage, wo man Tracks von ihm wieder und wieder auflegte und sich gemeinsam in der Peer Group über die Hookline freute. Bei „High Technology Lifestyle“ ist das wieder so. Es mutet an, wie eine niedrigschwellige Festivalnummer, inklusive spoken Intro, welches mich an C’hantals „The Realm“ erinnert. Nach den aufbauenden Plucks folgt ab 1:37 der erlösende Hands-in-the-Air-Drop, plus, dass Lincoln die Melo kurz darauf eine Etage höher setzt und sie danach wieder zurück zirkulieren lässt. Eine versteckte Botschaft gibt es auch noch: „Career Pressures“. Das lass ich mal so im Raum stehen. Dass es die Anti/Thesis vol.1 ist, impliziert eine Fortschreibung dieser Story. Für den Moment bin ich guter Dinge, dass High Contrast zurück ist, auf dem richtigen Weg. Randnotiz: ähnlich wohlwollend konnte ich mit dem jüngsten Release von Netksy – einer DnB-Mutation von Tocadiscos “Nobody Like The Records That I Play” – umgehen. Aber das ist eine andere Geschichte. (Metric)
Release: 23.02.2024
Label: Highly Contrasting
Katalognummer: 197338 058091
Wertung: 8/10
K Motionz – “For Old Times Sake EP”
Wenn Kallum Brookes aka K Motionz eine EP „um alter Zeiten willen“ macht, mutet das zunächst etwas bizarr an. Ich ertappe mich selbst desöfteren dabei, ihn immer noch zu den Newcomern zu subsumieren, dabei produziert das einstige Wunderkind bereits seit über einer Dekade, da er einfach schon irre zeitig damit begann (mit 11, wenn man seinen Worten auf Social Media vertraut). Aus heutiger Sicht ist das indes wohl schon nicht mehr so Aufsehen erregend und letztlich ein gutes Zeichen, dass Young Blood auch die Codes von DnB zu lesen vermag. Doch lassen wir die Altersklauberei und wenden uns der Mucke zu. Diese kommt bei Kallums Expertise richtig frisch rüber (remember, er ist erst Mitte 20 und noch lange nicht auf seinem Zenit). Außerdem ist es das sechste Release auf seinem eigenen Imprint K Motionz Music. Stilistisch fühle ich mich hier vor allem an die Arbeiten von Annix erinnert: es ist gelebte Minimalistik, top produziert und clean bis aufs Hemd. Es sind nicht nur die gepitchten Snares, sondern wie die verwendeten Sounds hier als einzelne Gebinde angeordnet und wahrgenommen werden können und trotzdem in eine Struktur geflochten sind, verleiht den Tracks eine bouncige Perkussivität. „Concourse“ erledigt das meisterlich und ist somit auch mein Favorit. In etwaigen DJ-Sets wird es allerdings vermutlich häufiger die Collab mit dem Meister der Gullyness Simula zu hören geben. Das Underwater-Geblubbel zu den beschriebenen Beats hat schon auch was, zugegeben. Zum Opener „Cypher“ kann ich tatsächlich weniger sagen (raviges Tool), als zur anderen Collab mit MC ID. „Run Dem“ ist noch mal schöne Ruffneck Selection, garniert mit Niedrigbit-Sounds und Holzfällerbasslines. Um alter Zeiten willen ist die EP gedacht – und moderne Sounds hat sie gebracht. Thank you K, for keeping DnB in motion(z)! (Metric)
Release: 02.02.2024
Label: K Motionz Music
Katalognummer: KMOM006
Wertung: 9/10
Voicians – „Floating World LP“
Ob nun über seine Massen an fabelhaften Produktionen auf Liquicity, Monstercat und FiXT, seinen Unmengen an sagenhaften Gesangsdarbietungen für Prolix, Ace Aura und Andromedik, oder über seine unzähligen von der Werbe-, Trailer- und Trash-TV-Industrie (sogar Temptation Island!) immer und immer wieder gern genutzten Arbeiten – Daniel Voicians kann man gar nicht entkommen eigentlich. Und dann, als ob sein stetiger Fluss an wunderbaren Releases der letzten paar Monate noch nicht genug gewesen wäre, haut der Kölner einfach mal, ohne Singles, ohne Label und sogar ohne jegliche, vorwarnende Promo, „Floating World“, ein 14 Track starkes Album, raus. Was für ein geiler Move. Auch stylistisch wird ohne Kompromisse auf pure Vibes gesetzt. Mal gibt’s DnB, mal Breakcore, aber auch Wave und sogar Ambient finden sich in der Tracklist wieder, und herkömmliche Strukturen und Tracklängen werden auch komplett über den Haufen geworfen. Bis runter auf 90 Sekunden gehen die teilweise! Das Ganze ist aber nicht nur cool weil’s konzeptuell rebellisch ist, es wird seinem Namen mit den träumerisch schönen, kompromisslos genrefluiden Produktionen auf höchstem Level auch vollkommen gerecht. Einfach mal anmachen und abschalten! (Lennart Hoffmann)
Release: 15.02.2024
Label: Selfreleased
Katalognummer: -/-
Wertung: 9/10
NUEQ – „Zahara EP“
Nanu, wer ist denn nu NUEQ? Dor Ben Nevat! Wie bitte? Okay, von vorne. Seit rund 2020 macht unser Protagonist die elektronische Musik Szene unsicher, erst als Navaro auf z.B. _Mr. Bill_’s Label _Billegal Beats_, dann aufgrund von zu vielen Namensvettern ab 2022 doch lieber mit dem Mayanischen Wort für Venus nachempfundenen Namen NUEQ. Ich bin eigentlich guter Dinge, dass das für die meisten von euch auch noch ein neuer Name ist, aber wenn man so betrachtet, wie viele Artikel die neueste EP des talentierten Tel Avivianers schon hervorgerufen hat, bin ich mit der Empfehlung echt der allerletzte in der Szene. Naja, kann mir eigentlich auch egal sein, die Musik auf der „Zahara“ EP ist ja trotzdem geil! Ob das nun daran liegt, dass NUEQ während der zweijährigen Schaffungsphase sowohl Tel Aviv und Bristol, als auch Mexico und sogar Denver sein Zuhause genannt hat, und er dadurch eine enorme Bandbreite an kreativen Einflüssen in den Prozess einfließen lassen konnte, oder ob er einfach ein krass talentierter Dude ist, kann ich euch dabei nicht sagen. Was ich euch aber sagen kann, ist, dass 140 Opener „Viernes“ nur so vor sonderbarem Sounddesign höchster Güte strotzt, „Neo“ eine synthhaft starke Evolution vom Staccato Gesteche zur Bulldozerwalze hinlegt, „Ammonites Wall“ ein wunderschöner Ritt durch allerlei verschiedenster Genres, Rhythmen und Melodien ist, und „Astarte“’s Schnellfeuer sich im Nu in euer Herz bohren wird. Grandiose EP. (Lennart Hoffmann)
Release: 14.02.2024
Label: Inspected Records
Katalognummer: INSP051
Wertung: 9.5/10
Various Artists – „Transmissions Pt. 1“
Es gibt kaum ein Label, welches im Neurobereich bessere Arbeit leistet als Magnetude’s, Task Horizon’s und Receptor’s Plattform der Zukunft, Evolution Chamber. 2019 gegründet, um dem ganzen Labelzirkus zu entkommen, hat die Kammer einen fetten Release nach dem anderen gefeiert, sowohl von ihren Gründern, als auch von Szenegrößen wie Joe Ford, Malux und Smooth, und schlussendlich auch aufstrebenden Neulingen wie Ekwols. Apropos: Mit ihrer brandneuen „Transmissions“ Serie wollen sie sich jetzt stärker den Neurolingen widmen, und auf Teil 1 zeigt sich direkt mal wieder, was für einen grandiosen Geschmack die Jungs haben! Ob nun der ungarische Alles-Zerstörer HRSPX mit seinem wild-switchenden Banger „Gynura“, die portugiesisch-britische Kombination aus Marcus „Impex“ Rendeiro und Matthew „Konquest“ Webb (vor 2021 auch Block Dodger genannt!), die auf „Sin Sister“ nicht nur die Eskalationsstufe auf 11 hebt, sondern auch gesanglich was bietet, der serbische Soundverwirbler Omneum mit seinem zutiefst zerschnetzelnden „Blade Dance“, das russisch-österreichische Trio TNTKLZ, bestehend aus Neronal, Kovar und Profuze, mit den Erdbeben erzeugenden „Failed Mechanics“, oder Neuseeländer Tim „Victim“ Reiley, der das facettenreiche Getümmel mit „1000 Faces“ wunderbar abrundet – hier haben alle Beteiligten super abgeliefert! (Lennart Hoffmann)
Release: 08.03.2024
Label: Evolution Chamber
Katalognummer: EVOC036
Wertung: 9/10
Rueben – „Your Move EP“
Im Moment gibt es kaum einen, der so einzigartigen, souligen Liquid herbeizaubert wie Jelle Ruben Geus. Und super nett ist er auch noch! Schon seit 2013 gab’s allerlei Wunderbares aus dem Hause Geus, angefangen mit dem kollaborativen Projekt Ordure zusammen mit Schulkamerad Jesse de Rooy. Ob nun Flexout, Overview oder Blackout (dessen Label Manager Jelle ist!), ob smooth oder fetzig, ob DnB oder Halftime – der Output war immer sehr hörenswert. Als 12nd gab’s sogar Lo-Fi von ihm! Ungefähr zur Pandemiezeit ist Jelle dann aber klar geworden, dass einiges mehr an sehr persönlichem, und vor allem eher souligem, Output beim Schreibeprozess rauskam. Es wurde Zeit für ein Solo Alias: Rueben! Seit 2021 hat’s ihn mit diesem wunderbaren Projekt jetzt nun auf Overview, Shogun und NËU verschlagen, wobei Ersteres definitiv seine Homebase ist. Auf eben jener gibt’s nun das neuesten fabelhafte Highlight in seiner Diskographie voller fabelhafter Highlights – die „Your Move“ EP! Auf vier wahrhaft exzellenten Cuts werden wieder einmal Herzen geschmolzen und Gänsehaut hervorgerufen, angefangen mit dem gefühlvollem Roller „Astray“ mit Londonianer travizWILDE. Die Killerkombo aus Rueben, Klinical und SOLAH klingt nicht nur auf dem Papier extraordinär, auf Titeltrack „Your Move“ stellen sie eindrucksvoll unter Beweis, dass selbst unsere kühnsten Erwartungen noch zu niedrig angesetzt waren. Gleiches gilt auch für „Hours Fade“ mit Music Squad Kamerad Grey Code und der phinomenalen PHI NIX – diese traumhaften Vocals, dieser ohrenbetäubend schöne Bass, dieser klasse steppy Beat, einfach unglaublich gut. Zuletzt gibt’s auf die ersten warmen Frühlingstage dann auch noch eine abkühlende Kollaboration mit Bald-Album-Rausbringer Wingz, voller exquisiter Pianos und Vibes ohne Ende. Echt Lekker! (Lennart Hoffmann)
Release: 05.03.2024
Label: Overview Music
Katalognummer: OVR081
Wertung: 9.5/10