Gexan – “Immortals EP”
Die “Immortals EP” ist der neuste Wurf aus dem Hause In The Lab. Dabei startete das erst 2021 in Northamptonshire gegründete Label zunächst als Plattform für Podcasts. Nach der ersten Halbwertszeit metamorphosierte es zum klassischen Imprint und wurde entsprechend auch als Best Newcomer Label in 2022 nominiert. In der Selbstbeschreibung sprechen sie von sich schlicht als „Independent Record Label focusing on the techy & experimental side of DNB“. Ganz konkret darf man konstatieren, dass sie einige der heißesten derzeitigen Talente abgreifen, wie z.B. [Borders], Sign oder Noise Parfumerie. Zusammen mit dem hochgeschätzten Franzosen Vici, den ich seit seinem ersten Release verfolge, sind das allesamt Acts, die nicht nur ich persönlich supporte, sondern auch einige mir nahestehender Künstler. Ausgerechnet den Protagonisten Gexan, um den es auf dieser Veröffentlichung hauptsächlich geht, habe ich noch nicht genannt. Tatsächlich ist mir von ihm lediglich ein free download via Sinful Maze bekannt. Somit ist die „Immortals EP“ also das Debütrelease des jungen Tschechen, der hier gleich mal ein paar Ausrufezeichen setzt. Die wilde, techige Fahrt beginnt denn auch mit dem Titeltrack, einem scheppernd metallischen Stepper mit fein säuberlich ziseliertem Synth und einigen Technobeat-Abschnitten. Es folgt „Condemned“ feat. dem kongenialen Notequal. Ein Track, der an die Arbeiten von Slwdwn erinnert und einen gierigen Groove mitbringt. Favorit 1 der EP! Track drei ist dann wieder Gexan solo. „Prepare To Die“ ist ähnlich wie „Immortals“ ziemlich techy geraten und auch hier schallert der schon beinahe obligatorisch gewordene Technobeat im Buildup zum zweiten Drop. Und weil’s so schön war, gibt’s jenen Tune zum Abschluss des Releases im Vici-Remix. Einmal mehr liefert Vici vollumfänglich ab. Jeder Sound sitzt wie die Kanüle in der Spritze und injiziert uns nichts als toxischen DnB. Favorit 2!
In jedem Falle sind die Jungs auf gutem Wege, sich mit ihrer Interpretation von zeitgemäßem Trommelbass unsterblich zu machen. (Metric)
Release: 02.12.2022
Label: In The Lab Recordings
Katalognummer: ITL024
Wertung: 8/10
VA – “We Are Incurzion Vol.3”
Ich hoffe sehr, dass das dritte Jahrbuch von Incurzion Audio ob der traditionellen Flut der Releases im Dezember nicht zu sehr untergeht. Denn auch dieses Imprint steht für Independence, Talentförderung und Style-Diversität – alles Werte also, die im Drum and Bass gern gesehen werden. Von den 24 Tracks sind weniger als eine Handvoll im Bereich der 140 BPM unterwegs. Alle anderen sind in erster Linie Drum and Bass, in zweiter allerdings wie angedeutet aus diversen Subgenres. Von Liquid über deep und / oder dreckig, bis zu Halftime ist alles dabei. Fun Fact: Censored The Audio hat die LP als “Deep Sea Fishing” getaggt. Meine Favoriten sind jedenfalls: Eth:er – “Interstellar“, nie von ihm gehört vorher und liefert hier stante pede einen gleichsam simplen wie dreckigen Track ab; Karraki – “Marble Castles“, eine epische Nummer mit einschlagenden Beat-Akzentuierungen; Julo – “Be Ablaze“, der nächste nie vorher gehörte Name, hier mit einem Bass-Screwdriver vertreten; Chamba – “Her Story“, ein verträumterer Song, der durch einen scheinbar simplen dreistufigen Akkord eine feine slidende Wirkung erzielt; Clu & River – “Only“, auch eher klassischer Liquid, der mich jedoch schnell hat, wenn das Piano schick eingewoben wird sowie zu guter Letzt: Xolyx – “Galaxy“, ein entrückter Tune, der das Sci-Fi-Thema mal erfrischend wenig technologisch, sondern eher in seiner Infinität aufgreift. Dies und noch vieles mehr gilt es auf der Compilation zu entdecken. Doch Vorsicht vor der Dunkelheit: dann macht Incurzion Audio seinem Namensursprung alle Ehre und hinterlässt beim Eindringen in unsere Gehörgänge nachhaltige Wirkung! (Metric)
Release: 30.12.2022
Label: Incurzion Audio
Katalognummer: INCVA003
Wertung: 8/10
Genic – “What Now EP”
Seit über 20 Jahren arbeitet man nun bei Dispatch Recordings schon am eigenen Qualitätskontinuum. Im Gedächtnis geblieben ist mir der Labelname ab der nuller Jahre mit Künstlern wie Artificial Intelligence oder Survival (heute Teil des Projekts Scar). Die heutige Generation der Dispatch-Acts hat zweifellos einen anderen Sound und doch kann man immer wieder dieses gewisse schwer zu beschreibende Dispatch-Trademark heraushören. Noch recht neu zum Artistreigen gehört das UK Duo Genic, was vormals schon auf Playaz, Cyberfunk und Vandal releaste. Ich nehme stark an, dass sie nun exklusiv bei Dispatch sind, denn seit Mitte 2021 wird nur noch dort veröffentlicht und der Sound scheint nun mehr oder minder klar definiert. Die „What Now EP“ schreibt Genics Klanggeschichte zwischen Tech und Funk wunderbar fort. Mein Kopf wippt beim titelgebenden Einstiegstrack „What Now“ jedenfalls bereits wild hin und her. Und schon ist er da: der Dispatch-Moment. Der Track rollt und rollt und möge bitte nie zu Ende gehen (sagt mein Unterbewusstsein). Bleibt also nur übrig: aus dessen Fängen befreien und weg. Doch dann ist man bei „Escaping“ schon wieder in der nächsten Schlingpflanze. Dabei setzen Genic äußerst gekonnt ihre Soundshreds diametral dem rollenden Beat entgegen. Dieses Prinzip wird auch bei „Sub And Acid“ verfolgt. Hier ist mir das Drumming allerdings bisschen zu minimal und nicht so schön luftig wie beim vorherigen Track. „Sequencer“ macht dahingehend wieder alles richtig und bewegt sich in Sachen Synth dann nur ein bisschen hochfrequenter. EP zu Ende. Was nun? Unterbewusstsein sagt: mehr davon! Der rollende Sound macht richtig süchtig! (Metric)
Release: 25.11.2022
Label: Dispatch Recordings
Katalognummer: DISGENVIP004
Wertung: 8/10
lkyn – „Serbia Bass (Blooom Remix)“
Wollt ihr wissen, wer gerade, verdientermaßen, so richtig durch die Decke geht? Michael Schlechtinger, besser bekannt als Multigenre Produzent und selbsternannter Tryhard Blooom! Es hat ihn im vergangenen Jahr nicht nur mehrmals auf Liquicity, mit eigener EP, Remix und Kollaborationen, und Circus Records verschlagen, seine immens guten Produktionen haben ihnen auch zu Bookings für Let It Roll, NOX und High Tea Events katapultiert. Als wäre das nicht schon genug, hat es sein traumhaft guter Sweet Dreams Bootleg in die Playlists von niemand anderem als Andreas C geschafft, was nun zu allerlei (höchst verdienten) Lobgesängen von mancherlei Szeneveteranen in Blooms Instagram Kommentarsektionen geführt hat. Während sich diese Geschichte weiter aufbauscht und hoffentlich irgendwann zu einem offiziellen Release führt, geht’s heute allerdings erstmal um einen anderen Tune, bei dem diese Pipeline bereits wunderbar funktioniert hat: Sein funky-frecher Remix von Alkyn’s Serbia Bass! Nachdem er das Original per Zufall beim sonntäglichen SoundCloud Surfen entdeckte, wusste er sofort, dass dem Serbia Bass eine gehörige Portion deutscher Drums gut stehen würde. Also flößte er dem Original kurzerhand seinen berühmt-berüchtigten blooomigen Charm ein, was ihm mal wieder so furchtbar gut gelang, dass Label und Artist sofort das grüne Licht für einen offiziellen Release gegeben haben. Zurecht, denn das Endresult kann sich mal wieder echt hören lassen! Mit so einer konsistent extremst hohen Qualität kann man für Blooom nur eine rosige Zukunft vorraus sehen. (Lennart Hoffmann)
Release: 29.12.2022
Label: KUMO Collective
Katalognummer: KC95
Wertung: 9/10
Current Value vs. Screamarts – „Voltcount EP“
Zwei extremst talentierte und gleichzeitig unglaublich produktive Produzenten. Einer aus Berlin, einer aus Wien. Einer haut seit 2000 ein Album nach dem nächsten raus, der andere ist seit 2011 am produzieren, aber startet vor allem die letzten paar Jahre so richtig durch. Einer bringt ein Tablet für seine Livegigs, der andere die Maske. Beide enorm divers und dennoch eindeutig erkennbar in ihrem Sound. Jade’s Eatbrain bringt die beiden nun zu einem Kampf der Giganten zusammen: Current Value versus Screamarts! Wie bei so einem hochkarätigen Matchup nicht anders zu erwarten, haben beide Talente nur die einzig- und eigenartigsten Exemplare ihres wilden Sounds zu diesem 5-stufigen kollaborativ-kompetitiven Wettstreit namens „Voltcount“ gebracht. Herausgekommen ist dabei eine wahre Odyssey durch die absonderlichsten Ecken, die der Neurofunk so zu bieten hat. Ob nun die zutiefst wummernden Bässe auf „Abyss“, der schnelle Schlagabtausch auf „Knock Knock“, das abgehackte Glitchmassaker auf „Voltcount“, die absolut abgefahrene und sich immer weiter entwickelnde Soundästhetik auf „Tribal“ oder die dramatische 4×4-Konklusion „Oni“, jeder einzelne Track liefert zuhauf Sounds und Rhythmiken, die einen vor lauter Eigenheit erstmal innehalten lassen. Gerne mehr! (Lennart Hoffmann)
Release: 23.12.2022
Label: Eatbrain
Katalognummer: EATBRAIN151
Wertung: 8.5/10
The Outsiders – „2222 EP“
Josef van der Veen und Roeland van Rijnberk sind nicht nur die niederländischsten Namen, die ich je gehört habe, sondern auch zwei der talentiersten Artists, die Drum and Bass gerade zu bieten hat. Zwar richten die beiden auch alleine gut Unheil in der elektronischen Szene an, aber es ist vor allem ihr kollaborativer Output als The Outsiders, der mich immer wieder aufs Neue fasziniert. Und ich bin da definitiv nicht der Einzige. Schon 2019, ein Jahr nach ihrem allerersten Release, waren sie bereits auf dem Radar von Liquicity und Noisia (damals noch via Division) gelandet und rund 3 Jahre später, sind sie zu wahren Stammgästen dieser beiden im Sound fast schon gegensätzlichen Labelgruppen geworden. Zum Abschluss eines grandiosen 2022 für die beiden, mit einem Haufen wunderbaren Singles, dem Release des absolut besten Remixes des Jahres und der hohen Ehre einer offiziellen Noisia Neuverdrahtung, haben Josef und Roeland noch einmal zurück zum Label eben jenes 3-köpfigen 2-glatzigen 1-zigartigen Gespanns gefunden, mit ihrem größten Projekt bisher, der „2222“ EP! Released am 22.12.2022, zeigen die 2 außergewöhnlichen Talente auf 22 Minuten und 22 Sekunden, was The Outzweiders so zu bieten haben. Spoiler: es ist grandiose Musik! Vor allem „Adore“, mit seinem verspielten Charm, „Puzzle“, mit seinem hypnotischen Rhythmen, und „Crush“, mit seinen erdrückend-massiven Bässen, haben mich hier überzeugt, aber glaubt mir, der Rest der EP ist 2-felsohne ebenfalls extrem stark. (Lennart Hoffmann)
Release: 22.12.2022
Label: VISION
Katalognummer: VSN101
Wertung: 9/10
Psynchro – „Laniakea LP“
Nach jahrelanger Zusammenarbeit im Untergrund, die bis mindestens 2015 zurückreicht, haben sich Denis Konakov, früher auch als Noxen bekannt, Daniel Sorokin und Edgar Koshevnik, damals noch unter Deontriq unterwegs, in 2019 zusammengetan, um die Szene mal gehörig aufzumischen. Dies ist ihnen durchaus gelungen, immerhin haben sie mit Releases auf Cyberfunk, Eatbrain, Blackout, High Tea und Neuropunk als das Newschool Neurofunk Trio Psynchro innerhalb kürzester Zeit einen bleibenden Eindruck hinterlassen! Mal technisch-melodisch, mal brachial die Tür eintretend, haben sie gezeigt, was für ein breites Spektrum an Drum and Bass die drei Russen abdecken können. Genau diese Diversität haben sich die drei auf ihrem Debütalbum „Laniakea“, ebenfalls auf Neuropunk herausgebracht, nun zu Nutze gemacht. Über 9 Tracks hinweg, führt uns das talentierte Trio auf eine filmreife Reise quer durch die Drum and Bass Galaxie, mit Zwischenstopps voller wilder Drumpartien wie auf „Infinity“, kraftvoll abgehackten Synthspielereien wie auf „Altitude“, irre funkigen Melodien wie auf „Cotton Candy“ oder einfach nur Gänsehaut erzeugenden Wänden aus Synths wie auf dem Titeltrack und Album Endstation „Laniakea“. Richtig richtig gut einfach. (Lennart Hoffmann)
Release: 06.01.2022
Label: Neuropunk Records
Katalognummer: NRPNK027
Wertung: 9/10