Psynchro – “Laniakea LP“
Dass Neuropunk sowas wie die russische Variante von Eatbrain ist, sollte inzwischen allseits bekannt sein. Tatsächlich gibt es auch hinsichtlich der Entwicklung des hauseigenen Sounds Parallelen, die auf eine schrittweise Öffnung weg vom pure-Neurofunk-only, hin zu deeperen, labortechigen Klängen deuten. Ich nenne das gern „sophisticated Drum and Bass“. Psynchro kann als Exempel für die Momente gelten, in denen ich mir als Auflegender wünschte, Heerscharen kämen herbei und frügen: „Was ist das, was ist das, was ist das?“
Über den Act selbst ist dann schon wieder kaum was in Erfahrung zu bringen, außer, dass es sich um drei Herren handelt, von denen solo vorher allenfalls Noxen bekannt war. Nach einigen Smasher-EPs folgt nun ihr Debütalbum mit voller Wucht. „Laniakea umfasst ein Gebiet von fast einer halben Milliarde Lichtjahren Durchmesser, in dem sich alle Galaxien ohne die Wirkung der kosmischen Expansion zu einem einzigen von der Gravitation gebundenen Gebilde zusammenziehen würden“ (Quelle: www.spektrum.de). Ne Nummer kleiner hamses wohl nich?! Auf jeden Fall eine sehr feine Art, um ein Konzeptalbum zu beschreiben bzw. zu betiteln Es sind zwar „nur“ neun Tracks, doch kein einziger Titel fällt auf den ersten Eindruck qualitativ ab. Alles oberfett, on point und auf Höhe der Zeit produziert. Volle Punktzahl! Und trotzdem habe ich wie immer meine Favoriten. Da ist zuvörderst „Karakurt“: ein fies bouncender Stepper mit einer Bedeutung, die wieder mal des Schicksals Ironie bedient. Karakurt ist nämlich gleichsam ein Dorf in der Ukraine als auch ein russischer Auftragsmörder aus der Serie „The Blacklist“. Der Titeltrack „Laniakea“ bedient das beschriebene Sci-Fi-Element und klingt dabei ehrlich gesagt mehr nach Dividid als nach Neuropunk. Klassischeren Neuro bekommt ihr dann mehr bei den ultrafunktionalen Collabs u.a. mit Skrimor, Whalespruce, Heysoul, Toyfon oder Ntechnique zu hören. Die Namen sagen euch alle nix? Dann gehet hin und machet eure Hausaufgaben! Und fangt am besten hier bei Psynchro an. Das Laniakea-LP-Gebilde absorbiert euch eh, wenn ihr einmal damit begonnen habt! (Metric)
Release: 06.01.2023
Label: Neuropunk Records
Katalognummer: NRPNK027
Wertung: 10/10
Des McMahon – “Dread & Despair [The Remixes]”
Mir war ehrlich gesagt nicht bewusst, dass das amerikanische Label mit einem der unkreativsten Namen ever (Play Me) so eine enorme Reichweite hat. Aber gut, die veröffentlichen stilistisch ja auch alles, was nicht zweimal Trump wählen würde. Solang da zwischendurch immer mal guter DnB dabei ist, kein Moan! Auf der anderen Seite der Küste lebt Des McMahon und bei seinen jüngsten Produktionen ist mir ein echt properer Bass aufgefallen. Auf dieser EP hier werden vier verschiedene Tracks einer Neuinterpretation unterzogen, wobei ich mir vorstellen kann, dass vielen von euch die Namen der Remixer auch wieder neu sind. Die vier Remixe sind individuell sehr verschieden. Los geht’s mit dem Skellytn Remix von „Dread & Despair“ – eher junglig, offbeatig und nicht meine Baustelle. Es folgt „Rinsed In Reseda“ (feat. Gabriel Habit) im Wavhart Hartless Mix und der ist echt trippig. Unbedingt den zweiten Drop mitnehmen und den Synth mal ausfahren lassen. Halleluja! Noch derber ist der KarmasynK Remix von „Corridor“. Die extrem laute Kickdrum überstrahlt hier alles, as simple as effective. Zuletzt ist da noch der Omen Remix von „Red Eyes“. Auch wieder eher trippig und vor allem was für Liebhaber des rollenden Sounds. Angst und Verzweiflung empfinde ich bei dem Release ehrlich gesagt nicht. Eher Wohlwollen und die Motivation, mindestens zwei der vier Titel im Club auflegen zu wollen! (Metric)
Release: 27.01.2023
Label: Play Me Records
Katalognummer: PLAY305
Wertung: 8/10
Streetz Of Rage – “The Mind Flayer EP“
Denke ich ans Formation-Camp, dann kommt mir sehr schnell in den Sinn, dass das Label seit jeher und wie kaum ein anderes für das Ausfindigmachen von neuen Talenten steht. Und dass über mehrere Dekaden so durchzuziehen, verdient höchsten Respekt! Die „Mind Flayer EP“ ist mindestens schon das fünfte Release von dj Hektics aus Birmingham unter dem Namen Streetz Of Rage und klanglich sein bisher stärkstes, wie ich finde. Dabei sind der Titeltrack „Mind Flayer“ sowie das noch ne ganze Ecke cleanere „Be The Power“ eher den Rollers mit fieser Bassline zu subsumieren, während „Nova“ mit seinen Snaps für die Minimal / Deep-Fraktion prädestiniert ist und „Other Worlds“ die EP sehr versöhnlich und erquicklich abrundet. Vier verschiedene Gedankenspiele ergeben eine große Bandbreite. Und selig sind die Formation-Jünger! (Metric)
Release: 27.01.2023
Label: Formation Records
Katalognummer: FORM12266
Wertung: 9/10
Sastruga – „Malware EP“
Ursprünglich aus Bautzen stammend, zwischendurch auch mal in Dresden und Lissabon ansässig und heutzutage an den Stränden Barcelonas liegend, hat es David Werth, früher unterwegs als Solar, heute als sastruga, schon viel rumgetrieben. Nicht nur physisch hat ihn sein Drang für Neues zu allerlei verschiedenen Welten geführt, auch musikalisch war er nie nur auf einen Sound festzunageln. Seit der Geburt seines aktuellen Aliases in 2019 gibt’s mal Techno, mal generell Electronic, und natürlich auch ab und an mal Drums und Basses vom Tausendsassa. Die über die Jahre angesammelten selbst herausgebrachten Werke haben nach und nach immer mehr Leute auf ihn aufmerksam gemacht, und mit „Ambivalent“ und „Cassiopeia / Searching“ hat es mich dann letztes Jahr auch erwischt. Rund ein halbes Jahr später ist mit dem Release seines neuesten Werkes, der „Malware“ EP, nun klar, dass auch die von ABIS und IMANU gegründete holländische Talentschmiede DIVIDID sich für ihn begeistern konnte. Ob nun mit seinen Mefjus-esquen, zutiefst synkopierten Eskapaden auf „Prayer“, seinem sicherlich nicht per Zufall durchaus Virus-artigen Neurofunk Güterzug „Malware“, seiner emotional starken, mit Vocals vollgechoppten Synth Odyssey „Tape“ oder seinem industriellen Aufs-Blech-Trommler „Payload“, sastruga bietet hier nur das allerhöchste an Newschool Qualität. Wirklich grandiose EP. (Lennart Hoffmann)
Release: 10.02.2023
Label: DIVIDID
Katalognummer: DIVIDID030
Wertung: 9.5/10
Victim – „Valvehead EP“
Drum and Bass muss nicht immer nur geile Partymucke und die Suche nach dem neuesten TikTok-Trend sein, das Genre kann auch mehr. Ob nun Projekte wie Headsbass oder wohltätige Compilations wie die Floodlight Aid For Pakistan LP, die Community hat in den letzten Jahren auch schon viel Positives bewirken können. Nach Jahrzehnte langem „normalen“ Labelbetrieb, hat es auch T3K Recordings Label-Chef Florian „Kaiza“ Kaizer ins Grübeln gebracht: Warum nicht die Plattform und das Netzwerk an Connections, das man sich aufgebaut hat, um etwas zu bewirken? Das Resultat: PROT3KT. Zwar läuft der Labelbetrieb erstmal weiter, mit ähnlich nach vorne treibender, grund-nicen techy Mucke von allerlei Newcomern und Veteranen, jedoch werden 100% aller Einnahmen an den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gespendet! Dazu gibt es auch noch schick gepinselte Artworks, die all die schönen, teils vom Aussterben bedrohte, Geschöpfe der Welt zur Schau stellen, und Releasetexte voller interessanter Infos über die jeweiligen Tierchen. Seit dem offiziellen Launch Anfang des Jahres hat es schon Artists wie CrucifyMe, Grim Hellhound und Skoel zum Projekt gezogen, für diesen Spotlight hab ich mir aber die „Valvehead“ EP von Tim „Victim“ Riley rausgepickt. Wie vom seit 2014 auf Labels wie VISION, C4C oder Kill Tomorrow sein Unwesen treibenden Neuseeländer fast schon zu erwarten, hat Victim hier vier prächtige Banger an den Start gebracht, wovon mich vor allem der tief wummernde „Grid Walker“ und das vocal-lastige Feature mit Bambi (passender Artist Name!) „Running“ überzeugt haben. Definitiv ein Kandidat für den nächsten Bandcamp Friday am 3. März. (Lennart Hoffmann)
Release: 03.02.2023
Label: PROT3KT
Katalognummer: PROT3KT002
Wertung: 8.5/10
Pine – „Memories EP“
Das britische Durchstarter-Label Yamatai Records haut gerade sowieso einen super Release nach dem anderen raus, aber mit ihrer neuesten Scheibe ist ihnen ein wahrer Geniestreich gelungen. Verantwortlich für diese Wunderbarkeit ist der aus Jersey stammende Ben Fahy, auch bekannt als Pine. Zwar konnte der Newcomer bereits einige sehr gute Bootlegs und ein paar erste Releases auf Oscity, Pick’n’Mix und eben auch Yamatai in den letzten paar Jahren verzeichnen, ein größeres Projekt blieb bisher jedoch aus. Dies ändert sich nun! Auf der 4 Track starken „Memories“ EP wird ganz schnell klar, dass in Pine noch viel mehr Talent steckt als man von so einem neuen Namen vielleicht erwarten würde. Mit wohlig warmen Bässen, tollem Sounddesign, hinreißend schönen Synths und absolut wunderbaren souligen Vocals von Sofia hat er beispielsweise auf dem Titeltrack „Memories“ direkt einen bleibenden Eindruck hinterlassen, aber da hört es definitiv noch nicht auf. Auf „Hold On“ gibt’s Synths, die man in der Qualität wirklich nur selten hört, und generell eine gehörige Portion stilvoller Vibes, mit „You Know“ und Bianca’s exzellenter Performance auf eben diesem wird noch einmal bekräftigt, dass Pine ein echtes Talent für den Umgang mit Vocals hat, und zu guter Letzt geht’s noch mal in die deepe, steppige Richtung mit dem EP Closer „Come Back“. Richtig, richtig gute EP, vor allem für ein Debüt! (Lennart Hoffmann)
Release: 03.02.2023
Label: Yamatai Records
Katalognummer: YAMREC012
Wertung: 9/10
Gyrofield – „Stimulus EP“
Kiana Li, besser bekannt als Gyrofield, ist schon längst kein Geheimtipp mehr. Seitdem sie Anfang 2020 entdeckt wurde, hat die ursprünglich aus Hong Kong stammende und seit ca. 2 Jahren in Bristol ansässige Produzentin mit ihrer einzigartigen Musik einen Meilenstein nach dem anderen lässig hinter sich gelassen. Ihr Lebenslauf beinhaltet dabei so ziemlich alle Stopps, die man sich so vorstellen kann: Overview, DIVIDID, Pilot, mau5trap, Inspected, Liquicity, Critical und Upscale. Dabei hatte sie allerdings auch immer zu einem ganz besonderen Label engen Kontakt: Noisia’s VISION! Nach ihrem Labeldebüt auf eben jenem mit dem äußerst passend betitelten „Fever Dream“ Remix von Noisia’s Banshee, ist sie nur ein paar Monate später bereits zurück mit gleich 5 brandneuen Bangern, die so verdammt gut sind, dass ich einfach nicht drumrum komme, hier drüber zureden. In dieser Meinung nach bisher am besten gelungenen Kombination ihres einzigartigen Styles mit dem bristolanischen Deep & Dark Sound, zerrt sie uns wirklich in die entferntesten und industriellsten Untiefen, die ich seit langem gehört hab. Nachdem uns der Opener „Shrimp“ mit allerlei reinen Oldschool-Flavours zugequakt hat, werden wir auf „B-Muth“ und „Calico“ direkt in die düsterste Fabrikhalle der Welt transportiert, in der uns das ohrenbetäubende metallische Klimpern und die wummernden Bässe weit unter der Gürtellinie auf Trab halten. „Midnight Minus One“ haut daraufhin eher in die groovige Kerbe, verliert dabei aber niemals den Flair der Vorgänger, und „Femme Fatale“ haut einen mit seinen drückenden Bässen zum Abschluss noch ein mal komplett vom Hocker. Ein absolutes Massaker. Ich lieb’s. (Lennart Hoffmann)
Release: 02.02.2023
Label: VISION
Katalognummer: VSN104
Wertung: 9.5/10