Current Value – “Beneath The Sonics LP”
Der König des Albumformats ist zurück! Und auch hierbei hilft mir Vision Radio als Sidekick, denn um herauszubekommen, dass es bereits Tims – in Worten – fünfzehntes(!) Album ist, hätte ich erst meinen Abakus entstauben müssen. Für dieses Projekt hat er denn auch gleich mal noch ein neues Label gegründet, welches denselben Namen wie das Album trägt. Nachdem CV zuletzt sehr experimentell unterwegs war, sind die Beats kraftvoll genug, dass es jeder der 14 Titel in ein DJ-Set schaffen kann. Und dennoch steht auch auf diesem Longplayer die Soundexploration im Vordergrund und schafft immense Assoziationen. Der Kickoff „Feel Me Now“ mit dem kind(l)i(s)ch repetierenden Vocalsnippet ist so ein Beispiel. Zusammen mit der Melo werd ich da irgendwie an alte Trance-Zeiten erinnert – und das meine ich nicht despektierlich! Es folgt das dubbige „Polymer“, was den Trancezustand auf eine upliftende Art und Weise herstellt. Nun: „Against“ – praktisch eine Technonummer mit Versatz zwischen Drums und Synth. „Kinderleicht“ ist dann wieder eher so, wie man CV kennt: stompender Beat und die Synths so ausgefahren, wie andere zum Feierabend ihre Beine hochlegen. „Mindprint“ bedient ein bisschen die Rollersfraktion und erinnert an seine Releases auf Souped Up, während „BLCD“ dann eher Marke Straßenbau verkörpert. „Higher Reason“ trägt wiederum das Gewand der 90er mit trancig-discoiden Stabs. Doch ganz ehrlich: das ist doch, wofür wir CV lieben – die Implementierung von trancigen Flächen, ohne EDM und ohne Oldskool-Hängengebliebensein. Kommen wir deshalb zu meinem Fav. des Albums: „Monster“ – ein holzfällernder Stomper vor dem Herrn und mutmaßlich der schwergewichtigste Track der jüngeren DnB-Vergangenheit. Falls demnächst von der Zerstörung eines Floors die Rede sein sollte: das war ich! Mit diesem Track! Es folgen die atmosphärischen Nummern „Day Dream“ – zu Halfstep tendierend – sowie „Beauty“, verwandt mit dem Opener des Albums. Dann wird´s nochmals technoid. „Wundfrei“ würde ich als Geschwist zu „Against“ einordnen; für den Drop muss man sich allerdings satte drei Minuten gedulden. „Proximity“ ist eine schöne hektische Nummer, während „Window Of Opportunity“ mit „Kinderleicht“ und „BLCD“ ein schönes ausladendes Trio bilden könnte, wenn man das wie ich so heraushören möchte. Den Abschluss bekleidet das kongeniale „Wraith“; stompend und trancig zugleich, also CV-esk par exellence! Daran, dass ich im Review praktisch keinen einzigen Titel übergehen konnte, merkt man schon, wie sehr jeder Track sein eigenes Storyboard besitzt. Big Up Current Value für 15 Alben top notch quality! Weiterführend empfehle ich auch unbedingt den zweiteiligen Podcast “Opa erzählt vom Rave mit Current Value”. Das ist deep talk galore! (Metric)
Release: 04.08.2023
Label: Beneath The Sonics
Katalognummer: –
Wertung: 9/10
https://currentvalue1.bandcamp.com/album/beneath-the-sonics
HDilla – “Upside Down”
Hier mal ein bisschen DJ-Futter auf dem noch jungen, in Cardiff ansässigen Label NRG. Release Nummer 11 kommt von HDilla, dessen Heimat ebenfalls die walisische Hauptstadt ist. „Upside Down“ ist der Opener und gleichzeitig Spiritus Rector der Veröffentlichung. Ich bin bekanntermaßen Fan von repetitiven Vocalsnippets und auch in diesem Falle entsteht durch das Ping Pong zwischen den zwei Snippets ein sich einbrennener Groove. Grundsätzliche Klangetage des Tracks ist in jedem Falle das Kellergeschoss – dort, wo’s dreckig ist und wo in manche Ecken nur der Hausmeister hinkommt. Warum ich diese Metapher wähle? Na weil dem Facility Manager ähnliche Klänge durch seine Werkzeuge vertraut sein sollten. „Upside Down“ kann eine echte Schelle im Set sein, um den Floor in Gewahrsam zu nehmen. Die beiden anderen Tunes „Hospital“ und „Buss It“ sind die kleinen Geschwister von „Upside Down“. Die Verwandtschaft ist zu hören, doch der Große hat einfach mehr Kraft und Durchsetzungsvermögen. Also, geht noch ein bisschen spielen, Kinder, dann nehmt ihr es irgendwann mit mir auf! (Metric)
Release: 24.08.2023
Label: NRG Sound
Katalognummer: NRG011
Wertung: 8/10
Various Artists – “Ellipsis Vol 2”
Kennt ihr eigentlich schon EIA? Was während der Pandemie als simpler Discord-Server einiger gelangweilter, sich nach Unterhaltung sehnender Niederländer begann, entwickelte sich über die letzten Jahre zu einer wahren Community, mit allerlei resultierenden Freund- und Partnerschaften. Aber zurück zum Anfang. Um dem Versprechen der „Eternal International Afterparty“ gerecht zu werden, wurden dabei nicht nur stundenlange Party Zoom Calls für die Unmengen an Livestreams größerer Künstler und selbst zusammengebastelteten Watch2Gethers veranstaltet, sondern auch regelmäßige eigene Twitch-Events mit Performances direkt aus der Community organisiert. Als „reale“ Events so langsam wieder möglich wurden, wagten Gründer Rolf „Vensta“ Eijgenraam und Sander „Muts“ Veeren, auch bekannt als „Muts en De Lange“, den nächsten Schritt und versuchten sich kurzerhand selbst an der Eventplanung. Komplett real diesmal, oder sagen wir lieber „REIAL“. Mit hochkarätigen Bookings von Magnetude, Waeys, Itro, Trinist, Rockwell und der DIVIDID Gang konnte sich REIAL Events bereits einen Namen in der Szene machen, aber da auf EIA nicht nur DJs, sondern auch Produzenten abhängen, war es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Labelsparte, REIAL Audio, Anfang diesen Jahres Wirklichkeit wurde. Inzwischen gibt’s sogar den eigenen Podcast, REIAL Radio! Aber genug von alledem, wir sind hier für den neuesten Output des Leiables, die zweite Edition der Ellipsis Compilation! Den Anfang machen dabei Nieuwkomer Gijs „Impulsiv“ Laukens und rotterdammerische Sängerin Jo Ella mit dem, für Gijs‘ sonstige Dancefloor Verhältnisse, erstaunlich Metal-inspirierten, extra neurolastigen Paukenschlag „Final Call“, gefolgt von Twitch-Event Veteran Vladimir „Housebreaker“ Damyanovski, der uns auf „I Gotta Know“ durch allerlei wunderbare Welten führt. Numero drie, „Our Ways“, aus der Feder des EIA Mitbegründers Vensta, fusioniert die wilde Energie moderner Produktion mit allerlei Oldschool-Einflüssen, während das große Finale, „Get Out“ von Labeldesigner Rico „dimlicht“, mit allerfeinstem Newschool Gemetzel begeistert. Schön im Auge behalten! (Lennart Hoffmann)
Release: 25.08.2023
Label: REIAL Audio
Katalognummer: EIA004
Wertung: 8.5/10
Framer – “Around You / Pulse of Desire”
Framer ist einer dieser Artists, bei denen ich nicht müde werde, ihn anderen Genreliebhabern zu empfehlen. Mir persönlich ist er erst 2021 mit „Blackbox“ aufgefallen, ein Track, den ich immer noch zu meinen all-time Favourites im Deep & Dark Subgenre zähle, aber die musikalische Geschichte des niederländischen Talents Brandon van Seeters geht noch viel weiter zurück als das. Bis mindestens 2016, um genau zu sein! Erst als „Catalyst“, dann als Teil des Duos „Convolve“ zusammen mit „Discomposure“, wurden schon jahrelang die Dancefloors und später dann auch Soundcloud mit allerlei hochqualitativen Produktionen aufgemischt, aber mit dem Solo Rebrand als Framer in 2020 ging’s dann so richtig los. Nachdem er mit grandiosen Remix Competition Einsendungen, die ihm den zweiten Platz bei Overview Music und den Runner-up Status in KOAN Sounds Wettbewerb bescherten, auf sich aufmerksam machte, folgten auch schon bald Releases auf allerlei Untergrundgoldminen wie Engage Audio, Abyssal Music und Ekou. In 2022 bewegte er sich dann vom geliebten Deep Sound weg zu techigeren, newschooligen Gefilden, aber das tat der Qualität keinen Anbruch. Im Gegenteil! Wie man auf seiner neuesten Doppel-Glanzleistung auf dem herausragenden bristolianischen Label Transparent Audio hören kann, steht ihm der neue Lack sogar noch ein Stück besser. „Around You“ strotzt dank seiner innovativ-märchenhaften Synthexplosionen und der reibungslos-legeren Rhythmusverlangsamung nur so vor retrofuturistischem Optimismus, während „Pulse of Desire“ mit dem mindestens genauso underratedten grazilen Grazer Geostatic die dramatischere Route geht, mit melancholischerer Atmosphäre, härteren Drums und einer auditiven Entwicklung von bassigem Ohrenschmaus bis hin zum puren Gänsehaut-Moment. (Lennart Hoffmann)
Release: 28.08.2023
Label: Transparent Audio
Katalognummer: TSA035
Wertung: 9.5/10
Zushi&Vanko, Moxide – “Between Us”
Und jetzt mal was ganz anderes: ZWEI Niederländer! Auf einmal! Zushi&Vanko ist das neueste Projekt der elektronischen Produzenten aus Orange Country, Kovan und, natürlich, Zushi. Kovan, und nein das ist kein Tippfehler, ist unter anderem für seine hochgradig ansteckenden, Lächeln ins Gesicht zaubernden EDM Banger bekannt, mit Streams im 7-stelligen Bereich auf Labels wie Sony, Universal, Proximity und NoCopyrightSounds. Der Dude hat einfach mal Alan Walker und R3HAB geremixed! Zushi hat allerdings auch schon so einige Karriere Meilensteine vorzuweisen, sein diverser Output von Future Bass über Lo-Fi Beats bis hin zu Latin Funk hat ihn nicht nur zu einem Release auf EDM Titan Monstercat geführt, sondern ihn auch zu einem Stammgast der Barong Family gemacht, dem in Amsterdam ansässigen und vom Trap/Hip-Hop-(und eine Moombahtonne anderer Genres mehr) Duo Yellow Claw gegründete, massive Label für Banger über das ganze elektronische Spektrum hinweg. Auf eben jener Plattform haben die beiden Freunde nun zusammen mit ihrem neuen DnB Projekt „Zushi&Vanko“ einen astreinen Start hingelegt. Ein fetter Abriss nach dem nächsten. Natürlich auch fetzig sowas, aber so richtig angetan hat es mir dann ihr neuester Streich „Between Us“, der eher in die überwältigend schöne Kovan’sche Richtung geht. Dafür haben sie sich den singapurianischen Produzenten Moxide mit ins Boot geholt, dessen Dubstep Bomben lustigerweise normalerweise viel, viel mehr in die Fresse gehen. Hier gibt’s allerdings vor allem grandiosen Gesang auf nach vorne treibenden, stimmungsmachenden Drums, malerische Mitsingmelodien aus schlicht und ergreifend schönen Synths, und einen zweiten Drop, der das Herrlichkeitsfeuerwerk komplett auf die Spitze treibt. Ich lieb’s! (Lennart Hoffmann)
Release: 25.08.2023
Label: Barong Family
Katalognummer: BF401
Wertung: 9/10
Ambion – “Mesmic”
Okay, einen nicht-Holländer noch zum Abschluss: Lasst uns über Sam „Ambion“ Broadhurst reden. Wie man am Namen vielleicht schon merkt, treibt es uns dafür diesmal über den Ärmelkanal oder besser gesagt, mitten rein! Unser lieber Sam haust nämlich auf der britischen Insel Gournsey, die durchaus näher an der französischen Landmasse als an der britannischen ist. Die musikalischen Einflüsse aus der UK schwappten da aber natürlich trotzdem rüber, weshalb es Sam, nach etwas Deep House, Techno und Garage in seinen 2018er Anfängen, dann ab 2019 auch hauptsächlich zu den Drums und Basses zog. Mit allerlei Free Downloads im groben Rollerbereich machte Sam nach und nach immer mehr auf sich aufmerksam, und beginnend mit seinem brachialen Bootleg von Kumarion’s „Want It“, wurde die Produktion dann auch immer technischer und abwechslungsreicher. Das trieb er dann soweit, dass sogar die Talentscouts von Sinful Maze, das tschecho-slowakische Label, zu deren Roster viele der besten Techy DnB Produzenten unserer Zeit gehören, von ihm Wind bekamen und ihn kurzerhand unter ihre Fittiche nahmen. Das Resultat: der Free Download „Mesmic“! Nach einem ausgezeichneten, schlichtweg epischen Intro, tritt uns Sam mit Karacho in die tiefsten Untiefen der unzähligen techy Soundlandschaften, die er so für uns bereit hält. Immer exorbitant fett und trotzdem extraterrestrisch schön, mit einem kleinen aber sehr feinen 4×4-Klapser in der zweiten Hälfte. Was will man mehr? (Lennart Hoffmann)
Release: 06.09.2023
Label: SINFUL MAZE Recordings
Katalognummer: -/-
Wertung: 9/10