Dava – “Falling Into Place EP”
Ich verfolge schon eine ganze Weile, was der Freiburger Dava so verzapft und dennoch hielt sich meine Assoziation zu seiner Musik eine ganze Weile hartnäckig in Richtung „betulich“. Das mag mit seiner Nähe zum Beatalistics bzw. Syncopix-Umfeld zu tun haben. Doch spätestens ab der Single für Skankandbass musste mein Urteil einem Update unterzogen werden. „Snake Bite“ schaffte den Weg nicht nur in mein Set und spätestens da wusste ich, dass man auf den recht unscheinbaren Artistnamen „Dava“ nun noch mehr achten sollte. Inzwischen kann er Veröffentlichungen u.a. auf Transparent Audio, 4 Corners oder Skankandbass vorweisen und da gibt es nach wie vor wahrlich nicht viele deutschstämmige Künstler, die das schaffen. Seine neueste EP strippte er für das junge Amsterdamer Label Love For Low Frequencies zusammen, was erst in diesem Jahr von Nymfo gegründet wurde. Beim Hören schien mir jedenfalls mein Unterbewusstsein zuzuprosten, denn insbesondere bei „Lurker“ und noch mehr bei „It Hurts“ dachte ich bei mir einfach nur: jawohl, genau so! Und dass vor allem die beiden Tracks wie Latsch und Bommel zum Labelnamen passen, ist ebenso grandios. Dabei muss ich „It Hurts“ wirklich noch einmal hervorheben. Diese Simplizität und wie Dava die forechecking Bassline darin in Szene setzt, ist einfach genial. Ein Tune mit perfektem Groove, Fakt! Track 4 ist übrigens eine Collab mit Jabba, einem weiteren Namen, den man unbedingt im Blick behalten sollte, denn er releaste bereits bei NËU, RAM und Delta9. Ich könnte jetzt eine Plattitüde formulieren und sagen: ja, auch deutsche Producer können Rollers. Stattdessen sag ich: Dava und Jabba machen echt coole Mucke! (Metric)
Release: 15.09.2023
Label: Love For Low Frequencies
Katalognummer: LFLF004
Wertung: 8/10
Heist – “Heist Sound LP”
Zugegeben, erst war ich sehr euphorisch und freute mich auf ein neues Heist-Album. Schließlich ist Jim lange genug im Game, um inzwischen in nahezu allen DnB-Subgenres brillieren zu können. Dann folgte ein bisschen die Ernüchterung, denn es sind keine neuen Songs auf dem Longplayer, sondern hauptsächlich Remasters. Zu den 20 auserwählten Titeln gehören einige seiner größten Erfolge, darunter auch Tracks, die von den eigenen Fans als Meilensteine für den Sound der jeweiligen Zeit bzw. Epoche gelten, in denen sie erschienen (z.B. „Unicron“, „The Verdict“ oder „Sleep In Ya Eyes“). Neben den obligatorischen, zu JumpUp tendierenden, rollenden Tracks (u.a. „Rum Goblin“, „Imparla“, „90% Rusk“, „Go To Work“ oder „Ambush“), sind auch ein paar frühe Tunes dabei, die eine feine, jazzige Note in sich tragen („Jazz Time“, „Pum Pum Stabber“). Zu dem bereits erwähnten Klassiker „The Verdict“ gesellen sich ähnlich schwergewichtige, Metalheadz-eske-Tracks wie „What Once Was“ und „Violent Rain“. Das ist nicht verwunderlich, schließlich arbeitete Jim in der Vergangenheit bereits als Engineer für Goldie bzw. Rufige Kru. Und auch einige Stücke der jüngeren Generation fanden ihren Weg auf die LP und die stehen wiederum für einen ganz anderen Heist-Sound. Eigenen Aussagen zufolge hat es Jim während der Coronazeit nämlich vollständig eingestellt, Musik für den Dancefloor zu produzieren. Stattdessen entstanden dann Songs wie „Watermelon Girl“ (feat. Sahala) oder „Cavansite“ (feat. Hannah Collins), die eine ganz andere Seite des vielseitigen Produzenten zeigen. So gesehen ist „Heist Sound“ der passende Titel für das Album, denn seine Musik kann in ganz verschiedene Richtungen gehen und trotzdem tragen seine Stücke stets diesen bestimmten Heist-Fingerprint. Eine LP auch zum Wiederentdecken von einigen Heist-Tracks, die in Vergessenheit geraten sein könnten. (Metric)
Release: 13.10.2023
Label: Co-Lab Recordings
Katalognummer: HS001
Wertung: 8/10
https://www.beatport.com/release/heist-sound/4270666
iFeature – “Told Myself”
Dass DnB gerade weltweit ziemlich im Kommen ist, ist eigentlich gar nicht mehr von der Hand zu weisen. Die ganzen Chartplatzierungen sind dabei allerdings nicht nur ganz nett um neue Hörer für das Genre zu gewinnen, es bringt auch Artists, die normalerweise in anderen Gefilden ihr Unwesen treiben, immer öfter auf die Idee, sich auch mal an uns Gunfingerliebenden Ravemonster ranzuwagen. Kann kompletter Sell-out sein, kann aber auch sehr frischen Wind in’s Ganze bringen. Der Lübecker Jan Contopidis, wahrscheinlich besser bekannt als iFeature, ist einer der besten Beispiele für Zweiteres! Fast 10 Jahre ist es nun her, dass es Jan zur Produktion getrieben hat, und zu sagen, dass er seit dem sehr produktiv war, ist noch hart untertrieben. Ob House, Trap, EDM, Chillstep, Future Bass, Piratestep oder der gute alte Dubstep, ob mit eigenen Vocals oder Instrumental, ob für sich selbst oder für Videospiele wie Valorant (!), Jan hat über seine 600+ produzierten und 120+ rausgebrachten Tracks hinweg quasi alles mal durchprobiert. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis DnB mal dran war. 2022 war es dann soweit! Während er zur selben Zeit von den Lübecker Nachrichten als potenzieller neuer Felix Jaehn erkoren wurde, hat er seine ersten von einem ganz anderen Felix, dem des Caracal Projects, inspirierten DnB Beats rausgebracht. Mit „Told Myself“ gibt es nun den bereits dritten Streich des musikalischen Zauberers, und glaubt mir, der ist special. In nur ein bisschen mehr als 2 Minuten gleiten wir vom Emo-Punk rüber zum verstörend-futuristischen DnB, voller farbenfroher Alien-Lockruf-Synths, rüber zum noch viel mehr verstörenden 90s Synthwave Vocoder Albtraum, bis wir dann schlussendlich im Halftime Gefilde unseren letzten Momente ausleben. Absolut wild einfach nur! (Lennart Hoffmann)
Release: 22.09.2023
Label: -/-
Katalognummer: RLS00271187
Wertung: 9/10
DIVICIOUX – “Can’t Find You Babe”
Wo wir gerade bei futuristischem Zeugs sind, muss ich einfach mal den frischesten Stern am niederländischen DnB Himmel erwähnen: Emanuel „DIVICIOUX“ Suijkerbuijk! Bereits in jungen Jahren hat es den Breda-ansässigen Multi-genralisten zur elektronischen Szene hingezogen. Schon früh hat er angefangen, seine eigenen Events unter dem Void Banner zu organisieren, aber auch mit seiner Arbeit beim legendären Fokuz Recordings hat er reichlich Kontakte knüpfen können. Gegen 2017 gab es bei jenen Events dann auch schon die ersten Auftritte als „Divicioux“ – damals noch mit nur einem Großbuchstaben – und seit 2018 findet man ihn auch auf so einigen anderen Eventplakaten. Zur gleichen Zeit hat er aber auch bereits das Produzieren angefangen, und nach 4-5 Jahren Schuften im Schatten, gab es 2022 dann endlich die ersten Früchte seiner Arbeit zu bestaunen. Seine stotternden, glitchenden und generell neue-Schule-artigen Kreationen gab es auf Plattformen wie OUTPLAYED, Noiseporn und NOX’s LUX Music zu bestaunen – DnB Fans kamen dabei leider etwas kurz. Ihr könnt dafür aber stattdessen in die absolut grandiose RE:SHIFT Reihe reinschauen! Da gibt’s wirklich exzellente Neuinterpretationen von allerhand Tunes, von EDEN über Repiet bis hin zu Tiësto. Wenn man sich so seine hochgeladenen Sets anschaut, wird es wohl aber nicht ansatzweise dabei bleiben! Den Anfang der hoffentlich brachialen zukünftigen Welle an delicioux DIVICIOUX Musik macht dabei „Can’t Find You Babe“, welches jetzt auf Don Diablo’s (!) FUTURE Label rauskam. Und wenn man den Tune mal anhört, weiß man auch wieso! Absolut Gänsehaut-erzeugender Buildup, komplett wildes Hin- und Hergepeitsche von Drums, wobbligem Bass und zerhackstückelten Vocals, ein gewaltiger epischer Chor, ein hochgradig ohrmassierender Bass, einfach nur krass! (Lennart Hoffmann)
Release: 06.10.2023
Label: FUTURE
Katalognummer: FUTURE070
Wertung: 9.5/10
Red Manta – “In The Wind”
Okay, wir können ruhig noch ein kleines Weilchen in den Niederlanden verbleiben, aber nach so viel wilder Sounddesign Zauberei sollten wir uns doch erstmal wieder zu etwas Bodenständigerem zurückkehren: Liquid! Natürlich hat die Szene so einige interessante Kandidaten in der Ecke vorzuweisen, aber die Kreationen des aufstrebenden Künstlers Ricardo „Red Manta“ Roebers haben es mir irgendwie besonders angetan. Zwar startete er mit seinen Produktionen erst 2020 so richtig durch, erst mit selbst herausgebrachten, mit Katzenbildern beschmückten Releases, später dann über FX909’s Heart Twice Records, aber er ist, Spoilerwarnung, jetzt schon auf einem echt formidablen Stand angekommen. Lobend ist davon mal abgesehen auch seine „Amen to Womxn“ Radio Show auf Relate Radio hervorzuheben, in der die in dieser unserer Szene leider immer noch viel zu kurz kommenden weiblichen und queeren Mitglieder ins Rampenlicht geschoben werden. Er ist aber anscheinend nicht nur ein cooler Kerl (beim Quatschen beim Liquicity war er auch chillig drauf!), er macht, wie oben schon gespoilert, auch märchenhaft schöne Musik! Bestes Beispiel, seine neue “In The Wind” Doppelsingle. Nicht nur der Titeltrack hat so viele sanfte, perfekt übereinander gelagerte Melodien, vom einfühlsam eingesungenen bis zum ätherisch eingespielten, zu bieten, dass man einfach nicht mehr anders kann, als hinweg zu schmelzen, „Better Than I Do“ ist ebenfalls eine absolut paradiesische Komposition, diesmal bestehend aus warmen Klavierakkorden, delikaten Vocals und einem beruhigenden Bach aus ruhig rollenden Drums. Wirklich toll! (Lennart Hoffmann)
Release: 06.10.2023
Label: Heart Twice Records
Katalognummer: HTR025
Wertung: 9/10
Dux n Bass – “Don’t Go”
Und noch ein Holländer zum Schluss: Quinten Pols, besser bekannt als Dux n Bass. Aber immerhin lebt er in Mannheim! Oder lebte, besser gesagt, bei der Recherche hab ich nämlich rausgefunden, dass er jetzt gerade wohl nach Neuseeland zieht. Ach manno! Na gut, macht aber trotzdem geile Mucke. Aber von vorne. Anfangs noch als Duo mit the one and only Gregor Salto konzipiert, startete Dux n Bass 2016 direkt mit offiziellem (oder zumindest so aussehenden) Remix für Major Lazer, und allerlei starken Bootlegs durch, und 2017 war dann auch schon der erste Release auf Spinnin‘ Records mit Girls Love DJs angesagt. Kein schlechter Start! Kurz darauf ging der Sound vom poppigen DnB dann aber eher in die feinste englische Jump-Up Richtung, mit Zusammenarbeiten mit Subgenre-König Macky Gee und einigen Releases auf seinem Label. Irgendwo in den letzten 2 Jahren scheint Gregor von diesem durchaus stabil beschleunigenden Zug abgesprungen zu sein (mit einem Salto, versteht sich), aber Quinten hat sich davon nicht abbringen lassen und das Ganze immer schön weiter geführt, vor allem seit seinem Signing mit Elevate Records. Eine Platte nach dem anderen, irgendwo zwischen modernem Jump Up und Dancefloor, jagt er uns da einfach mal um die Ohren, und am Ende gibt’s sogar ein Feature mit Label Bossman Friction selbst! Nach all dem Tohuwabohu hat sich Quinten für seine nächste EP nun allerdings erstmal von Labels ferngehalten und alles selbst gemacht – und die erste Auskopplung, „Don’t Go“, ist zumindest schon mal super! Bei den wunderbaren, von Bring Me The Horizon’s gleichnamigem Titel inspirierten, aber neu aufgenommenen Vocals, wahrlich schönen atmosphärischen Synths und stark synkopierten Rhythmen der ersten Minute könnt man fast denken, Quinten geht in eine komplett andere Richtung als sonst, aber dann wird die Energiekurbel auch schon angeworfen und geleitet uns auf dem Hype Train ohne Umwege ins Land, in dem der Jump Up noch auf Bäumen wächst, bevor wir wieder sanft zum Anfangsvibe zurückkehren. Was für ein Erlebnis! (Lennart Hoffmann)
Release: 05.10.2023
Label: Selfreleased
Katalognummer: -/-
Wertung: 9/10
Redpill – “Genesis LP”
Redpill means no Chill! Gut, das war beim französischen Neurofunk-Vorzeigeknaben auch nicht zu erwarten. Und doch kommt sein Debütalbum auf Blackout mit wahrlich viel Wucht angedonnert. Bereits der Opener und gleichzeitig Titeltrack „Genesis“, zusammen mit Coppa – der tiefsten Stimme im DnB – ist wahnwitzig brachial. Wann immer du denkst, das Intensitätslevel könne nicht noch mehr gesteigert werden, schraubt sich eine noch tiefere Bassline in den Neuroberg, ohne Rücksicht auf Mensch und Natur. Ich liebe es! Gleichzeitig hat Rémy damit ein Antiexempel statuiert, denn im Normalfall erscheinen die stärksten Stücke einer LP vorher als Auskopplung. Auf den ersten Blick setzte man wohl eher auf Namedropping, denn bereits vorab kamen u.a. die Collabs mit Black Sun Empire & Virus Syndicate („Executionist“) sowie mit der mir bis dato unbekannten Anna Vaverková („Let Go“) heraus. Doch dann gibt es doch noch weitere hochkarätige Kollaborationen zu entdecken, nämlich mit Ed Rush („Interlinked“) sowie mit Burr Oak („Frogs“), die ich auf einer Stufe mit Redpill sehe, was das Produktionslevel angeht. In den Solo-Tracks liefert Rémy den zu erwartenden Sci-Fi-Cyberneurofunk mit hohen Snares und bratzenden Beats. Doch heraus sticht für mich wie gesagt der Titeltrack sowie die 4/4-Gatling Gun namens „Slap The Bassline“. Dieser Tracktitel ist fürwahr kein Zufall. Redpill untermauert mit diesem Werk, dass er zur obersten Etage im Neurofunk zählt. Dieses Album knallt zweifellos, auch ganz ohne Pillen, egal welcher Farbe! (Metric)
Release: 01.09.2023
Label: Blackout Music NL
Katalognummer: BLCKTNL148
Wertung: 9/10